Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
Vom Netzwerk:
Rauchwolken, die an diesem Morgen den Dunst verdrängten, keine Beachtung. Ein neuer Tag begann, doch Gentles Leib sehnte sich ebenso nach Ruhe wie seine Seele. Während der Fahrt nach Yzordderrex hatte er ein wenig geschlafen, aber dadurch schien sich der Schleier aus Benommenheit nur noch mehr zu verdichten. Erschöpfung steckte ihm in den Knochen, und es dauerte sicher nicht mehr lange, bis sie ihn in die Knie zwang.
    Zacharias war sich dessen bewußt, und deshalb wollte er die Angelegenheiten dieses Tages so schnell wie möglich hinter sich bringen. Aus zwei Gründen kam er hierher. Erstens: um jene Aufgabe zu erfüllen, von der ihn Pies Verwundung abgelenkt hatte - es ging darum, Sartori zu finden und ihn unschädlich zu machen. Zweitens: Ob er seinen Doppelgänger hier fand oder nicht - er mußte zur Erde zurück, um zu verhindern, daß sich Sartori dort ein neues Reich schuf. Gentle gebot nun über die Macht eines Maestros, und daher fiel es ihm bestimmt nicht schwer, zur Fünften zurückzukehren. Selbst ohne die subtilen Hinweise des Mystifs war er imstande, in 822

    seinem Gedächtnis eine Möglichkeit zu entdecken, von einer Domäne in die andere zu wechseln.
    Doch zuerst mußte er sich um Sartori kümmern. Zwei Tage waren seit der Flucht des Autokraten vergangen, aber Gentle hoffte, daß sich sein anderes Selbst noch immer in diesem Palast aufhielt. Hier war sein Wort Gesetz gewesen, und selbst die unbedeutendste Tat von ihm kam einer Offenbarung gleich
    - die Vorstellung, eine solche Welt aufzugeben, mußte für Sartori außerordentlich schmerzhaft sein. Bestimmt zögerte er, sich vom Zentrum seiner einstigen Macht abzuwenden. Und vermutlich zog es ihn in die Nähe jenes Objekts, das ihn zum unbestrittenen Herrscher über Imagica gemacht hatte - zum Zapfen.
    Gentle befürchtete schon, die Orientierung verloren zu haben, als er die Stelle erreichte, wo Pie zu Boden gestürzt war.
    Er erkannte sie sofort wieder, ebenso wie die Tür des Turms.
    Einige Sekunden lang blieb er dort stehen, wo er den Mystif in den Armen gehalten hatte, doch er entsann sich dabei nicht an Liebe und Zärtlichkeit, sondern an Pie'oh'pahs letzte Worte, die er unter großen Schmerzen hervorbrachte, während er sich dem unheilvollen Ruf der Rasur zu widersetzen versuchte.
    Sartori, flüsterte die Erinnerungsstimme nun. Finde ihn, Gentle. Er weiß Bescheid...
    Worüber wußte er Bescheid? Vielleicht über Pläne mit dem Ziel, die Rekonziliation zu verhindern? Worin auch immer sein geheimnisvolles Wissen bestehen mochte: Gentle war fest entschlossen, es Sartori zu entreißen, bevor er ihm den Gnadenstoß gab. Selbst wenn er dem Autokraten jeden Knochen im Leib brechen mußte - angesichts seiner zahllosen Verbrechen verdiente er noch viel schlimmere Strafen.
    Der Gedanke, sein anderes Ich zu foltern, damit es alle wichtigen Informationen preisgab, erfüllte Gentle mit einer sonderbaren Mischung aus Zorn und Genugtuung, die seine innere Stabilität nachhaltig erschütterte. Er gab den Versuch 823

    auf, am emotionalen Frieden festzuhalten, konzentrierte sich statt dessen auf die Wut, marschierte mit langen Schritten durch den Korridor und trat durch die Tür am Ende des Flurs.
    Der Komet kletterte am Himmel hoch, aber nur ein geringer Teil seines Lichts erreichte den Turm. Es genügte jedoch, um Zacharias überall leere Passagen zu zeigen. Er zwang sich, vorsichtig zu sein, langsamer zu gehen: Schließlich befand er sich hier in einem wahren Labyrinth aus vielen Kammern, und in einer davon lauerte vielleicht sein Feind. Die Müdigkeit machte ihn schwerfällig und unbeholfen, aber er gelangte zur Treppe, ohne mit seinem Stolpern Aufmerksamkeit zu erregen.
    Dort erinnerte er sich: Die Stufen endeten an einem Portal, das nur mit einem ganz besonderen Schlüssel geöffnet werden konnte - Sartoris Daumen. Nun, in diesem Zusammenhang erwartete Gentle keine Probleme. Wir sind identisch, fuhr es ihm durch den Kopf. Das gilt auch für unsere Finger.
    Erstaunlicherweise stand die Tür offen. Und jemand bewegte sich dahinter. Gentle verharrte zehn Schritte vor der Schwelle und holte Luft - er mußte seinen Gegner mit der ersten Attacke außer Gefecht setzen, wenn er ihm keine Gelegenheit geben wollte, sich zur Wehr zu setzen. Ein Pneuma, um ihm die rechte Hand zu zerschmettern, ein zweites für die linke.
    Zacharias hielt den Atem an, erklomm die letzten Stufen und trat in den Turm.
    Sein Feind stand unter dem Zapfen, hatte die Arme hoch erhoben und

Weitere Kostenlose Bücher