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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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nicht.
    Ich bin nur wegen dir hier.«
    Zacharias bohrte Zeige- und Mittelfinger in eine Schale. Mit Schokoladeneis bedeckt kamen sie wieder zum Vorschein, und er leckte sie ab.
    »Möchtest du etwas?« fragte er.
    Bisher hatte Jude keinen Appetit verspürt, aber als sie nun sah, mit welchem Genuß Gentle leckte... Da lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie probierte das Eis; es war cremig und süß.
    »Schmeckt's?«
    »Viel zu gut«, erwiderte Judith. »Wieso hast du deine Meinung geändert?«
    »In bezug auf was?«
    »Warum hältst du es nicht mehr für nötig, dich zu verstecken?«
    »Das Leben ist zu kurz.« Gentle schob sich erneut mit Eis beladene Finger in den Mund. »Und wie ich schon sagte: Ich wußte, daß ich dich hier antreffen würde.«
    »Bist du zum Gedankenleser geworden?«
    »Ich gebe mir Mühe.« Er grinste und zeigte dabei schokoladenbraune Zähne. Jener kultivierte Mann, der vor wenigen Minuten in den Garten gekommen war, präsentierte sich nun als zum Scherzen aufgelegter Junge.
    »Du hast Schokolade am Mund«, sagte Judith.
    »Möchtest du sie wegküssen?« fragte Gentle.
    »Ja.« Sie sah keinen Sinn darin, über ihre Gefühle 915

    hinwegzutäuschen. Derartige Geheimnisse hatten schon viel zu oft negative Konsequenzen nach sich gezogen.
    »Warum sind wir dann noch hier?«
    »Klein wird uns nie verzeihen, wenn wir jetzt gehen«, sagte Jude. »Die Party findet zu deinen Ehren statt.«
    »Sollen die Gäste über uns reden, wenn wir fort sind«, entgegnete Gentle. Er stellte die Schale beiseite und wischte sich den Mund mit dem Handrücken ab. »Ich schätze, das ist ihnen sogar lieber. Laß uns jetzt gehen, während uns niemand Beachtung schenkt. Wir vergeuden Zeit mit einem Gespräch...«
    »Zeit, die wir viel besser nutzen könnten - im Bett.« »Allem Anschein nach bin ich nicht der einzige Telepath«, kommentierte Gentle.
    Als sie die vordere Haustür öffneten, hörten sie Klein, der vom Garten aus nach ihnen rief. Judith fühlte sich ein wenig schuldig - bis ihr die Erinnerung noch einmal den besitzergreifenden Blick zeigte, den sie in Chesters Augen bemerkt hatte, als Gentle eintraf. Nein, dies war keine einfache Cocktailparty, sondern ein sorgfältig in Szene gesetztes Bühnenstück, eine Farce. Die Gewissensbisse metamorphierten zu Zorn, und Jude schlug die Tür so laut zu, daß Klein den Knall nicht überhören konnte.
    3
    In ihrer Wohnung öffnete Judith sofort die Fenster, um frische Luft hereinzulassen. Es war noch immer recht warm, obgleich die Dunkelheit der Nacht längst das Licht des Tages abgelöst hatte. Eine laue Brise brachte die üblichen Neuigkeiten aus dem Draußen: Sirenen in der Ferne; Stimmen vom Bürgersteig; Jazz vom Club weiter unten an der Straße - auch dort hatte man die Fenster geöffnet. Jude ging zum Bett und setzte sich neben Gentle. Dies war die richtige Gelegenheit, um ganz offen zu sein, um alles beiseite zu räumen und nur die Wahrheit übrigzulassen.
    916

    »Ich hätte nicht gedacht, daß wir hier enden«, sagte sie.
    »Zusammen.«
    »Freust du dich darüber?«
    »Ja, ich freue mich.« Und nach einer kurzen Pause: »Es fühlt sich richtig an.«
    »Gut«, erwiderte Gentle. »Auch ich habe den Eindruck, daß alles selbstverständlich ist.«
    Er rutschte nach hinten, grub ihr sanft die Hände ins Haar und strich mit den Fingerkuppen über die Kopfhaut. Judith seufzte.
    »Gefällt dir das?« fragte Zacharias.
    »Ja.«
    »Bitte sag mir, was du empfindest.«
    »In welcher Hinsicht?«
    »In Hinsicht auf mich. Auf uns.«
    »Ich kann mich nur wiederholen: Es fühlt sich richtig an.«
    »Das ist alles?«
    »Nein.«
    »Was sonst noch?«
    Jude schloß die Augen, und Gentles Finger massierten die Antwort aus ihr heraus.
    »Ich bin froh, daß du hier bist. Weil ich glaube, daß wir voneinander lernen, daß wir uns vielleicht wieder lieben können. Nun, wie klingt das?«
    »Gut«, sagte Gentle leise.
    »Und du? Was geht dir durch den Kopf?«
    »Ich habe ganz vergessen, wie seltsam diese Domäne ist. Ich brauche deine Hilfe, um stark zu werden. Ich fürchte, daß ich mich manchmal sonderbar verhalte, daß mir Fehler unterlaufen. Und ich möchte, daß du mich genug liebst, um mir zu verzeihen. Hältst du das für möglich?«
    »Ja«, hauchte Judith.
    »Ich möchte, daß du meine Visionen mit mir teilst«, fügte Gentle hinzu. »Ich möchte, daß du siehst, was in mir glänzt -
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    ohne es zu fürchten.«
    »Ich fürchte mich nicht.«
    »Das freut mich. Das freut mich

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