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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Geburt des Unbesiegten Sohns, nicht wahr?«
    »Oh, die Söhne haben kaum etwas zu befürchten«, erwiderte Judith. »Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen.«
    »Aber in Hinsicht auf die Töchter bist du nicht so sicher?«
    »Nein«, gab Jude zu. »Hapexamendios hat alle Göttinnen in Imagica getötet, Clem - oder es wenigstens versucht. Jetzt stellt sich heraus, daß Er Gentles Vater ist. Es gefällt mir nicht, Ihm dabei zu helfen, Sein Werk zu vollenden.«
    »Ich verstehe.«
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    »Manchmal denke ich...« Judith beendete den Satz nicht und ließ den ersten drei Worten ein nachdenkliches Schweigen folgen.
    »Was denkst du manchmal?« fragte Clem.
    »Nun, ab und zu halte ich es für töricht, ihnen einfach so zu vertrauen: Hapexamendios und Seinem Rekonzilianten. Wenn Er ein so liebevoller Gott ist - wieso hat Er dann soviel Leid beschert? Und sag jetzt bloß nicht, daß Gottes Wege unerfindlich sind - wir beide wissen um die Unsinnigkeit solcher Bemerkungen.«
    »Hast du mit Gentle darüber gesprochen?«
    »Ich wollte es, aber er hat nur eine Sache im Kopf.«
    »Zwei«, sagte Clem. »Erstens: die Rekonziliation. Und zweitens: Pie'oh'pah.«
    »O ja, natürlich, der wundervolle Pie'oh'pah.«
    »Wußtest du, daß Gentle den Mystif geheiratet hat?«
    »Er erwähnte es, ja.«
    »Pie muß ein erstaunliches Geschöpf gewesen sein.«
    »Ich fürchte, in diesem Zusammenhang bin ich ein wenig voreingenommen«, stellte Judith fest. »Immerhin hat Pie'oh'pah versucht, mich umzubringen.«
    »Angeblich entsprach ein solches Verhalten nicht der Natur des Mystifs.«
    »Nein?«
    »Gentle erklärte mir die Hintergründe: Er befahl ihm, sein Leben als Killer oder Hure zu verbringen. Der Maestro gibt sich die Schuld - und nicht nur an Pie'oh'pahs Schicksal.«
    »Gibt er sich nur die Schuld, oder übernimmt er die Verantwortung?« erkundigte sich Judith. »Das ist ein Unterschied.«
    »Keine Ahnung.« Clem schien nicht bereit zu sein, über solche Feinheiten zu reden. »Eines steht fest: Ohne Pie ist er ziemlich allein.«
    Judith schwieg. Sie wollte sagen, daß auch sie allein sei und 107
    4

    an Kummer litte, doch selbst Clem gegenüber widerstrebte es ihr, eine solche Beichte abzulegen.
    »Auch Pies Geist lebt noch, so wie der Tays«, fuhr Clem fort. »Und wenn dies alles vorbei ist...«
    »Offenbar hast du eine Menge von Gentle erfahren«, warf Jude ein, als sie hörte, wie ihr Gesprächspartner die Weisheiten des Maestros wiederholte.
    »Glaubst du ihm nicht?«
    »Was weiß ich?« entgegnete sie gereizt. »Für mich gibt es keinen Platz in diesem Evangelium. Weder bin ich seine Geliebte noch folge ich ihm als Jünger.«
    Hinter ihnen knarrte eine Bodendiele; sie drehten sich um und sahen Gentle im Flur. Helligkeit folgte ihm, glitt zur Treppe und schimmerte an den Stufen entlang. Schweiß glänzte in seinem Gesicht, und das Hemd klebte ihm an der Brust. Clem stand schuldbewußt auf, so hastig, daß er die Flasche umstieß. Sie rollte über zwei Stufen und verströmte Bier, bevor Judith danach griff.
    »Es ist heiß hier«, sagte Gentle.
    »Und es wird nicht kühler«, entgegnete Clem.
    »Kann ich dich sprechen?«
    Jude begriff sofort, daß sie nichts hören sollte, aber entweder war Clem zu naiv, diese Erkenntnis zu teilen - was sie bezweifelte -, oder er lehnte es ab, auf diesen besonderen Wunsch des Maestros einzugehen. Er blieb stehen, und deshalb hatte Gentle keine andere Wahl, als näher zu kommen.
    »Wenn Montag zurückkehrt...«, begann er. »Ich möchte, daß du zum Anwesen fährst und die Steine aus der Zuflucht holst.
    Ich führe die Rekonziliation oben durch - dort helfen mir die Erinnerungen.«
    »Warum schickst du Clem?« fragte Jude. Sie stand nicht auf.
    »Ich kenne den Weg, er nicht. Und im Gegensatz zu ihm weiß ich, wie die Steine aussehen.«
    »Ich glaube, du bist hier besser aufgehoben«, erwiderte 1075

    Gentle.
    Daraufhin wandte sich Judith halb ab. »Zu welchem Zweck?
    Ich nütze niemandem etwas. Oder geht es dir nur darum, mich im Auge zu behalten?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Dann laß mich fahren. Ich nehme Montag mit. Clem und Tay bleiben hier. Sie sind deine Schutzengel, stimmt's?«
    »Wenn dir das lieber ist...«, meinte Gentle. »Ich habe nichts dagegen.«
    »Ich komme zurück, keine Sorge«, sagte Judith spöttisch und hob ihre Bierflasche. »Und wenn auch nur, um auf das Wunder anzustoßen.«
    3
    Etwas später, als die blaue Flut der Abenddämmerung in der Straße wuchs und den Tag zum Rand

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