Imagica
Haus vertrieben war..., dann wollte Gentle zurückkehren und sich einer anderen Lektion stellen: Es galt herauszufinden, wie die Rekonziliation funktionierte.
Solche Informationen brauchte er dringend, und einige memoriale Echos flüsterten bereits davon.
»Ich kehre zurück«, versicherte er dem Geschöpf auf der Schwelle.
»Ich warte«, sagte der Mystif.
Der Maestro sah Pie'oh'pah an. Sonnenschein glänzt durch das Fenster hinter ihm und fraß sich in die Silhouette, zeigte sie nicht als ganze Gestalt, nur noch als Fragment. Tief in Gentle verkrampfte sich etwas: Dieser Anblick weckte Erinnerungen, die Entsetzen brachten - Erinnerungen an die Rasur, an wogendes Chaos, an Schwärze und Leere, an den von Fäulnis zerfressenen Leib des Mystifs, an seine schmerzerfüllten Schreie. Pie war aus der Ersten zurückgekehrt, um einige seltsam klingende Worte an ihn zu richten.
Was für eine Antwort hatte er gegeben? Gentle entsann sich 106
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nicht daran. Doch er hörte nun erneut die Aufforderung, Sartori zu suchen - sein anderes Selbst wußte etwas, das ihm nicht bekannt war. Und dann kehrte Pie in die Erste zurück, offenbar gegen seinen Willen.
Das Herz pochte Gentle bis zum Hals, als er den Schrecken abschüttelte und noch einmal zur Türschwelle sah. Dort saß niemand mehr. Warum sollte ich unbedingt Sartori finden?
fuhr es ihm durch den Sinn. Warum war das so wichtig? Selbst wenn Pie'oh'pah in der Ersten Domäne die Wahrheit über Gentles Abstammung herausgefunden und vergeblich versucht hatte, sie ihm mitzuteilen - er mußte gewußt haben, daß auch Sartori nichts davon ahnte. Über welches Wissen verfügte der ehemalige Herrscher von Yzordderrex? Was hielt Pie'oh'pah für so bedeutungsvoll, daß er Gottes Zorn riskierte, indem er Sein Reich verließ, um Gentle Hinweise zu geben?
Eine im Erdgeschoß erklingende laute Stimme lenkte Gentle von diesem Rätsel ab: Judith rief ihn. Er hastete die Treppe hinunter und durchs Haus, schließlich erreichte er die große, kühle Küche. Jude stand am Fenster, dessen Scheibe schon vor langer Zeit zerbrochen war. Die Kletterpflanzen im Garten hatten die gute Gelegenheit zum hemmungslosen Wuchern genutzt und ein Dickicht geschaffen, das Dunkelheit brachte und ihre eigene Existenz bedrohte. Nur hier und dort drang etwas Sonnenschein durch das Wirrnis aus Holz und Blättern, doch es genügte, um die Frau und ihren Gefangenen zu erkennen: Judiths Fuß ruhte auf dem Kopf von Dunkles Loch, dessen viel zu großer Mund zu einer tragischen Maske zu gehören schien. Sein Blick glitt nach oben.
»Ist er das?« fragte Jude.
»Ja.«
Dunkles Loch wimmerte leise, und als Gentle näher kam, verwandelte sich das Jammern in den Beginn eines Wortschwalls.
»Nicht die geringste Schuld habe ich auf mich geladen!
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Frage sie. Bitte frag diese Frau. Zweifellos wird sie bestätigen, daß ich ganz friedlich gewesen bin. Ich wollte nur Gefahren aus dem Weg gehen.«
»Sartori ist nicht sehr zufrieden mit dir«, sagte Gentle.
»Oh, ich hatte keine Chance«, protestierte das Wesen.
»Nicht gegen jemanden wie dich. Nicht gegen einen Rekonzilianten.«
»Du weißt also, wer ich bin?«
»Ich weiß es jetzt. Wir müssen eins sein«, zitierte der Beschworene und verstand es, Gentles Tonfall perfekt nachzuahmen. » Wir müssen Frieden schließen mit dem, was wir waren und sind...«
»Du hast zugehört.«
»Ich kann nicht anders«, sagte das Wesen. »Weil mich die Natur mit Neugier ausgestattet hat. Aber ich habe nichts verstanden«, fügte Dunkles Loch hastig hinzu. »Ich wollte euch keineswegs belauschen.«
»Lügner«, erwiderte Judith. Und zu Gentle gewandt: »Wie bringen wir diesen kleinen Mistkerl um?«
»Das ist nicht nötig«, entgegnete der Maestro. »Hast du Angst, Dunkles Loch?«
»Was glaubst du?«
»Schwörst du mir Treue, wenn ich dich am Leben lasse?«
»Wo soll ich unterschreiben? Zeig mir die Stelle!«
»Du willst das hier leben lassen?« brachte Judith ungläubig hervor.
»Ja.«
»Warum?« Ihr Fuß drückte noch etwas fester zu. »Sieh es dir nur an.«
»Das tut weh«, klagte Dunkles Loch.
»Schwör mir Treue.« Gentle ging neben dem Wesen in die Hocke.
»Ich schwöre! Ich schwöre!«
Der Maestro sah zu Jude auf. »Nimm den Fuß weg«, sagte 107
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er.
»Vertraust du dem Burschen?«
»Ich möchte keinen Tod an diesem Ort«, erklärte Gentle.
»Nicht einmal den eines Oviaten. Laß ihn, Jude.« Und als sie sich nicht von der Stelle rührte: »Gib ihn
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