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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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also die Geschichte des Vaters?« vergewisserte sie sich. »Den größten Teil davon habe ich schon einmal gehört.«
    »Das ist die Geschichte«, bestätigte Dowd. »Und die Moral!«
    »Erklär sie mir.«
    Er schüttelte andeutungsweise den Kopf. »Verspottest du mich?«
    »Ich höre dir zu, oder? Dafür solltest du mir dankbar sein.
    Du könntest auch ohne Publikum an diesem Ort liegen.«
    »Tja, das gehört alles dazu, nicht wahr? Stell dir vor, du wärst erst nach meinem Tod hier eingetroffen. Was brachte dich ausgerechnet jetzt hierher? Schicksal, Kindchen. Zum letztenmal treffen sich die Pfade unseres Lebens - für mich ein Zeichen dafür, daß ich dir mein Herz ausschütten soll.«
    »Hast du überhaupt eins?«
    Dowd holte mühsam Luft. »Im Lauf der Jahre habe ich mich immer wieder gefragt: Warum wandte sich Gott an mich?
    Warum holte Er einen kleinen Schauspieler aus der Wüste, um 1099

    ihn durch drei Domänen zu schicken, um ihn zu beauftragen, Ihm eine Frau zu besorgen?«
    »Er wollte einen Rekonzilianten.«
    »Und in Seiner eigenen Stadt gab es keine geeignete Frau?«
    erwiderte Dowd. »Ist das nicht ein wenig seltsam? Darüber hinaus: Was kümmert es Ihn, ob alle Domänen von Imagica zusammengeführt sind oder nicht?«
    Eine gute Frage, fand Judith. Sie dachte an einen Gott, der sich in Seiner Stadt isolierte und nicht geneigt zu sein schien, die Barriere zwischen der Ersten Domäne und dem Rest von Imagica zu beseitigen, der andererseits versuchte, ein Kind zu zeugen, das die Einheit der Welten wiederherstellte.
    »Ja, es ist seltsam«, sagte sie.
    »Und ob.«
    »Hast du irgendeine Erklärung?«
    »Nein. Aber ich glaube, Er verfolgt eine bestimmte Absicht.
    Sonst würde Er sich doch nicht solche Mühe machen, oder?«
    »Ein Plan...«
    »Götter schmieden keine Pläne. Sie erschaffen. Sie beschützen. Sie bestimmen und verbieten.«
    »Warum verhält Er sich anders?«
    »Genau darum geht's. Vielleicht kannst du es herausfinden.
    Vielleicht gelang es den anderen Rekonzilianten, die Wahrheit zu entdecken.«
    »Den anderen?«
    »Die Söhne, die Er vor Sartori ausschickte. Möglicherweise kamen sie Ihm auf die Schliche und beschlossen, den Gehorsam zu verweigern.«
    Judith wurde immer nachdenklicher.
    »Vielleicht starb Christos nicht, um die Menschen von ihren Sünden zu befreien, sondern um sie - vor seinem Vater zu bewahren?«
    »Ja.«
    Jude erinnerte sich an die Szenen in der Orakelschüssel: eine 110
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    Stadt - wahrscheinlich sogar eine ganze Domäne -, die von gräßlicher Finsternis heimgesucht wurde. Tief in ihrem Innern erbebte etwas, doch das Zittern ließ fast sofort nach. Sie spürte keine Panik, sondern ein kühles Entsetzen, das bis zu den Wurzeln ihres Ichs reichte.
    »Was soll ich unternehmen?«
    »Keine Ahnung, Kindchen. Du bist an niemanden mehr gebunden, kannst tun und lassen, was du willst.«
    Judith dachte an ihr Gespräch mit Clem zurück, an ihr Bedauern angesichts des Umstands, daß es im Evangelium der Rekonziliation keinen Platz für sie gab. Jetzt schien Hoffnung daraus zu erwachsen. Dowd hatte es gerade noch einmal betont: Sie war an niemanden gebunden. Es gab keine Godolphins mehr, und der Tod hatte auch ihre Schwester Quaisoir geholt. Gentle trat in die Fußstapfen von Christos, und Sartori... Entweder trachtete er danach, ein zweites Yzordderrex zu bauen, oder er suchte irgendwo nach einem Loch, um sich darin zu verkriechen. Jude genoß Freiheit in einer Welt, deren Bewohner die Fesseln von Besessenheit und Pflicht trugen - das bot ihr einen wichtigen Vorteil. Vielleicht konnte nur sie die Dinge aus der richtigen Perspektive sehen und sie objektiv beurteilen, ohne dabei von Loyalität in der einen oder anderen Form beeinflußt zu werden.
    »Die Situation verlangt eine sehr schwierige Entscheidung von mir«, sagte sie.
    »Vielleicht solltest du einfach vergessen, daß du mit mir gesprochen hast, Kindchen«, entgegnete Dowd. Das Sprechen bereitete ihm immer mehr Mühe, doch es gelang ihm, seinen Worten auch weiterhin einen munteren, fröhlichen Klang zu verleihen. »Was du von mir gehört hast... Es ist nur das Gefasel eines Sterbenden.«
    »Wenn ich versuche, die Rekonziliation zu verhindern...«
    »Dann forderst du nicht nur Vater und Sohn heraus, sondern vermutlich auch den Heiligen Geist.«
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    »Und wenn ich mich darauf beschränke, nur zu beobachten?«
    »Was auch immer geschieht... Du trägst dafür die Verantwortung.«
    »Warum?«
    »Weil...« Die Kraft in Dowds

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