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Imagica

Imagica

Titel: Imagica Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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Rekonziliant wich nicht zurück. Er kannte seine Pflicht.
    Als die Wellen nach seinem Rücken tasteten und ihn fortzureißen drohten, folgte er Huzzahs Beispiel, hob ihr Geschenk an die Lippen und küßte es. Dann sammelte er seine ganze Kraft und warf den Stein so weit wie möglich fort. Das Ei verließ seine Hand mit einer Geschwindigkeit, die ihm nicht 134
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    nur von Gentle verliehen wurde, sondern auf eigene Dynamik zurückging; sofort wandte sich das Wasser in die entsprechende Richtung, umfloß die beiden Maestros und strömte in die Ödnis der Ersten.
    Die Fluten würden vermutlich Wochen oder gar Monate brauchen, um die ganze Domäne zu bedecken, vom einen Ende bis zum anderen, und der größte Teil dieses Werks wurde sicher ohne Zeugen vollbracht. Aber während der nächsten Stunden konnten die beiden Maestros wenigstens einen Teil davon beobachten. Sie standen dort, wo einst die Stadt des Gottes begonnen hatte, und über ihnen kam Bewegung in Wolken, die bisher ebenso wie der Boden in Reglosigkeit gefangen gewesen waren. Jetzt brodelte es in ihnen, und aus dem zornigen Wallen entstanden die ersten von zahllosen Gewittern. Natürlicher Regen ließ jene Flüsse anschwellen, die sich säubernd und reinigend durch eine Welt aus verwesendem Fleisch fraßen.
    Die Fäule des Gottes Hapexamendios wurde nicht einfach fortgespült, auf daß sie irgendwo verschwände. Der Auftrag der Göttinnen erfüllte jeden einzelnen Tropfen, und damit griffen die Fluten nach den widerlichen Massen, drehten sie hin und her, tilgten ihr Gift und häuften sie zu Hügeln an, die von stürmischen Winden mit Girlanden in Form von Dampf geschmückt wurden.
    Der erste Boden, der in diesem Chaos erschien, war nicht weit von den Füßen der Maestros entfernt und wuchs zu einer zerklüfteten Halbinsel, die sich anderthalb Kilometer weit in die Domäne erstreckte. Ständig rollten Wellen heran und fügten den steinernen Flanken von Hapexamendios Lehm hinzu. Eine Zeitlang geduldete sich Gentle und blieb im Grenzbereich zwischen den Domänen stehen, doch schließlich konnte er der Versuchung nicht mehr widerstehen und ignorierte Jackeens Aufforderungen, vorsichtig zu sein: Langsam ging er weiter, um das Spektakel vom Ende der 1349

    Halbinsel aus zu beobachten. Noch immer floß Wasser aus dem neuen Boden, und an den Hängen zuckten hier und dort Blitze, die nicht aus den Wolken kamen. Doch der Untergrund schien stabil genug zu sein, denn überall sprossen bereits Sämlinge. Gentle vermutete, daß diese spezielle Saat aus Yzordderrex stammte, und wenn das stimmte, so wimmelte es hier bald von Leben.
    Als er die Spitze der Landzunge erreichte, entstanden zwischen den Wolken über ihm erste Lücken - sie hatten den größten Teil ihrer Nässe abgeladen -, doch in der Ferne nahmen die Veränderungen erst ihren Anfang. Die Gewitter zogen weiter, um Regen in alle Regionen der Ersten zu bringen. Im Schein der Blitze erkannte Gentle sich windende Flüsse, die ihre Aufgaben mit nicht nachlassendem Eifer wahrnahmen. Hier auf dem Kap glänzte dem Rekonzilianten ein sanfterer Schein entgegen - offenbar hatte die Erste Domäne eine Sonne. Zwar brachte sie zunächst nur ein wenig Wärme, doch Gentle wartete kein besseres Wetter ab, er setzte sich und holte die Mappe mit den bisher angefertigten Zeichnungen hervor. Jetzt mußte er ihnen noch die Wüste zwischen den Toren von Yzordderrex und der Rasur hinzufügen, und dabei war besondere Sorgfalt geboten. Zwar würden jene Darstellungen weitaus weniger Details aufweisen als die anderen, aber gerade deshalb wollte er der Öde eine eigene Ästhetik verleihen.
    Er hatte etwa eine Stunde lang konzentriert gearbeitet, als er Jakkeen hinter sich hörte. Zunächst knirschten Schritte, dann erklang eine Stimme und stellte eine Frage:
    »Redest du in fremden Zungen, Maestro?«
    Erst durch diesen Hinweis begriff Gentle: Er hatte vor sich hin gemurmelt und Dutzende von Namen genannt, die für einen Zuhörer bedeutungslos bleiben mußten. Sie betrafen Orte, die er besucht hatte und deren Bezeichnungen ihm so vertraut waren wie die Namen seiner früheren Leben.
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    »Zeichnest du die neue Welt?« erkundigte sich Jackeen und zögerte. Er wollte nicht noch näher kommen, während der Künstler arbeitete.
    »Nein, nein«, erwiderte Gentle. »Ich vervollständige eine Karte.« Er zögerte und berichtigte sich: »Das heißt... Ich vervollständige sie nicht, sondern beginne damit...«
    »Darf ich einen Blick darauf

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