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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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steckte den Brief zurück in seine Aktenmappe und trat ohne jeden weiteren Kommentar in den Hintergrund. Trotz der Lichtverhältnisse glaubte ich, auf Brobergs Lippen den Anflug eines Lächelns zu erkennen, als er die Software startete.
    Jede der folgenden dreißig Aufnahmen füllte den Bildschirm fast eine halbe Minute lang, ohne dass Broberg oder Mertens einen Kommentar zwischenschoben.
    Die ersten Fotos waren Luftaufnahmen und zeigten die Einschlagstelle in der Totalen. Völlig schneefrei ragte der Mount Breva am Rande eines blauschimmernden Eiskraters empor, als erhebe er sich neben einem riesigen See aus flüssigem Marmor. Die Hunderte von Metern dicke Eis- und Schneedecke, die ihn größtenteils bedeckt hatte, musste durch die Hitze des Einschlags (oder des Himmelskörpers?) innerhalb weniger Sekunden geschmolzen sein. Das, was sich nicht als Wasserdampf verflüchtigt hatte, hatte sich im Krater zu einem See gesammelt und war wieder erstarrt. Ich erkannte keine Auswurfspuren, die darauf hindeuteten, dass die Schneemassen beim Aufschlag hinausgeschleudert worden waren.
    Auf dem Hintergrund mancher Bilder meinte ich, ein würfelförmiges Gebäude zu erkennen, das – zur Hälfte von Eis umschlossen – aus dem Fels herauszuwachsen schien. Neben dem gigantischen Krater wirkte es winzig und unbedeutend, doch hatte man es einmal wahrgenommen, so konzentrierte man seinen Blick unwillkürlich auf dieses entfernte Objekt.
    Eine große Anzahl der nachfolgenden Aufnahmen zeigte erst den Krater, dann auch das Bauwerk aus der Nähe. Da sich DeFries – dunkelgrüner Parka, weißer Rauschebart, sonnengegerbtes Gesicht – mit einigen seiner Kollegen vor dem Komplex postiert hatte, ließ sich die ungefähre Größe des aus dem Eis herausragenden Gebäudeteils abschätzen. Er war annähernd zehn Meter hoch und zog sich über fünfzehn bis zwanzig Meter an der Felswand entlang. Von der Bergflanke bis zur Außenwand mochte er sechs Meter messen.
    Drei der Fotos schienen durch eine künstliche Öffnung ins Innere des Bauwerkes geschossen worden zu sein. Die Bilder ähnelten den Aufnahmen einer Überwachungskamera, die in eine der oberen Raumecken montiert war. Sie waren in der Perspektive unwirklich verzerrt und zeigten einen leeren, schmucklosen, von eigenartig blauem Licht erfüllten Raum. Dann erkannte ich, dass nur drei Wände eine blaue Färbung besaßen. Die vierte zeigte sich in sprödem, mattem Grau-Schwarz. Es dauerte einige Sekunden, bis ich begriff, dass es keine Innenansicht des Gebäudes war, sondern die einer künstlichen, ins Eis geschmolzenen Halle. Die Zweckmäßigkeit dieses Rieseniglus war offensichtlich.
    Angesichts der extremen Wetterbedingungen konnten DeFries und seine Mannschaft – vor Schnee, Sturm und Kälte geschützt – unter dem Eis weiterarbeiten. Bei der dunkelgrauen Wandseite handelte es sich um die freigelegte Außenmauer des Gebäudes.

 
3
     
     
    Als sich die allgemeine Aufregung ein wenig gelegt hatte und viele der Anwesenden ihre Anspannung bei Erfrischungsgetränken oder einem Spaziergang durch den Institutspark abbauten, gesellte sich Elena Orgariowa zu mir. Ich stand am Fenster und spielte den begossenen Pudel.
    »Verletzte Eitelkeit?«, fragte sie.
    »Ehrlich gesagt: Ich fühle mich wie ein zweiter General Rami.« Ich stellte den leeren Kaffeeplastikbecher auf den Fenstersims und starrte in die Baumkronen. »Der durfte sich nach dem Roswell-Zwischenfall ebenfalls vor aller Öffentlichkeit lächerlich machen und statt UFO-Trümmern die lumpigen Fetzen eines Wetterballons präsentieren.«
    »Man hat Sie nicht ohne Hintergedanken die Abschluss-Presseerklärung abgeben lassen.«
    »Ach, wirklich?«, schnappte ich. »Auf den Gedanken wäre ich nie gekommen!«
    Die Russin hob ihre Augenbrauen, sagte aber nichts weiter.
    Stumm blieb sie neben mir stehen, was mich ziemlich nervös machte.
    »Was ist los mit Ihnen?«, fragte ich schließlich.
    »Ich bin nicht ganz zufrieden mit Mertens’ Erläuterungen«, sagte sie. »Fanden Sie das Ganze nicht auch ein wenig schwammig?«
    »Schwammig?«, echote ich. »Ich habe in den vergangenen neunzig Minuten mehr erfahren, als ich jemals zu träumen gewagt hätte, und Sie finden das schwammig?«
    »Sensationshascherei, mehr nicht«, wehrte die Russin ab. »Ein archäologisches Furunkel, das die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Krankheitsherd ablenken soll. Geben Sie zu, selbst Sie interessierten sich nach Dr. Jorgensens Brief nicht mehr dafür, wie und

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