Imagon
Monitor. »Sicher«, sagte ich. Dann erzählte ich DeFries von meinem Trance-Erlebnis in Talalinquas Iglu, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob außer ihm jemand die Zusammenhänge verstand. Nach meiner Schilderung war DeFries’ Gesicht vor Erregung bleich wie Wachs.
»Warum …«, setzte er zum Sprechen an, doch seine Stimme versagte. Er stand ruckartig auf und begann ziellos durch den Raum zu laufen. »Er darf das Tor nicht durchschreiten …«, stammelte er dabei. »Er darf es nicht … Qur wird aufhorchen … Niemand außer Ihnen kann das Tor je wieder schließen … die Dimensionen werden eins werden …« Er fuhr auf dem Absatz herum. »Warum haben Sie mir nichts davon erzählt!«, schrie er mit sich überschlagender Stimme und krümmte sich augenblicklich vor Schmerzen.
»… beherrschen Sie sich!«, blendete sich Mertens’ unangenehm laut gewordene Stimme in mein Bewusstsein ein. »Haben Sie denn allesamt den Verstand verloren?« Zorn spiegelte sich in seinem Gesicht. Fast sah es so aus, als ob er sich aus dem Monitor heraus im Raum umsehe. »Unsere Geduld hat ein Ende, meine Herren! Ich verlange unverzüglich eine Erklärung, was es mit diesem Tor und dieser subglazialen Virenkolonie auf sich hat!«
DeFries richtete sich trotzig auf und schleppte sich – von Rijnhard gestützt – schwer atmend von Sessel zu Sessel.
»Ihre unablässigen Versuche, diese mikrobengeschwängerte Gallertansammlung und diese Ruinen zu mystifizieren, ist in höchstem Maße kontraproduktiv«, fuhr Mertens fort. »Dieses Virus ist kein Monster aus irgendeinem Aberglauben, sondern ein real existierender Parasit. Fünf Menschen sind bereits gestorben, und falls wir nicht umgehend …«
»Das ist kein geistloser Protoplasmaklumpen, Sie Schwachkopf!«, schnitt ihm DeFries das Wort ab. Dabei stützte er sich schwer auf die Rückenlehne meines Sessels. Seine Stimme war heiser und pfeifend, als er aufgebracht hinzusetzte: »Ein Shoggothe ist ein intelligentes Wesen!«
»So?« Mertens’ Augenbrauen hoben sich zweifelnd. »Besitzt es ein Gehirn? Ein zentrales Nervensystem? Ganglien? Einen Stoffwechsel? Organe?« Seine Fragen kamen wie eine verbale Flaksalve.
»Nein«, sagte DeFries, »nein, nein, nein!« Er ließ sich in seinen Sessel sinken, und ich sah seinem Gesicht an, dass sein letzter Widerstand nahezu gebrochen war. »Ein Shoggothe besteht einzig und allein aus superfluiden Zellen«, erklärte er nun wesentlich disziplinierter. »Er absorbiert Organismen, um zu lernen und zu wachsen. Er infiziert und transformiert sie und fügt sie seiner eigenen Substanz hinzu. Auf diese Weise eignet er sich Fähigkeiten und Wissen an – wie das Chapmanns. Er besitzt ein Bewusstsein!«
Mertens lehnte sich zurück und sah zu Broberg und zu Krogh, wobei seine Mundwinkel sich zu einem mitleidigen Lächeln zu verziehen begannen. Entgegen meiner Erwartung kommentierte er DeFries’ Aussage jedoch nicht weiter. Statt dessen machte er nur eine vielsagende Geste und überlies Broberg das Wort.
»Ich nehme an, Sie sprechen von der Kreatur unter dem Eis«, stellte Broberg in gefasstem Tonfall fest. Dabei tippte er auf eines von DeFries’ Notizbüchern. »Von jenem Wesen, das Ihren Aufzeichnungen zufolge auf seinem Weg hierher eine Höhle geschaffen hat, die sich vom Nordfjord des Scoresby-Sunds durch den Weitershausengletscher bis hier herauf zum Mount Breva erstreckt. Von einem Wesen, das diesen Krater mittels kybernetischer Energie geschaffen hat … Bitte erklären Sie uns: Wie kann ein Organismus Energie emittieren, die intensiv genug ist, um einen Krater von über sechs Kilometern zu erzeugen?«
»Durch konservierte, immanente Willenskraft.«
»Oh«, machte Broberg. »Was Sie nicht sagen. Dort draußen ruht also der Beweis für eines der größten physikalischen Rätsel der modernen Wissenschaft …«
»Diese Wesenheit ist keine Wissenschaft, Odgen«, entgegnete DeFries. »Sie ist Religion!«
»Und besitzt Ihrer Ansicht nach die elementare Macht dazu, eine Eisschmelze solchen Ausmaßes herbeizuführen. Eine Macht, die diese Shoggothen von ihren Schöpfern geerbt haben und die alles uns Vorstellbare übertrifft. Ist es das, was Sie uns damit sagen wollen, Jon? Dass hier ein göttlicher Wille am Werk ist?« Broberg schob die Unterlippe vor. Er sah auf das Notizbuch, blätterte nachlässig darin herum. »Sie schreiben hier von der Ankunft fremdartiger, mächtiger Wesen, die vor Millionen von Jahren die Erde zu bevölkern begannen«,
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