Imagon
ihren Schilderungen zufolge Soerensens Lunge erfüllt hatte, konnte im Leichnam nicht mehr nachgewiesen werden.
Soerensens Leiche wurde in einem unbeheizten, leergeräumten Container des Infra-Blocks aufgebahrt, während man Ericksen und Tielles in der Notunterkunft A unterbrachte. Im Laufe weniger Stunden begannen sich ihre Körper auf dieselbe erschreckende Art und Weise zu verändern wie später der von Chapmann. Hilf- und ratlos mussten DeFries und die anderen die furchtbare Metamorphose mit ansehen. Auch Soerensens Leiche – in Tücher eingewickelt, einen Plastiksack verpackt und vermeintlich durch die arktische Kälte tiefgefroren – veränderte sich, doch niemand bemerkte es. Jorgensen und DeFries, die inzwischen von den plasmaversetzten Schmelzwasserdämpfen im Tempel ebenso kontaminiert worden waren wie vier weitere Arbeiter, beschlossen, vorläufig Stillschweigen über die Geschehnisse zu bewahren.
Dann kam der Tag, an dem Soerensens Leichnam wieder zum Leben erwachte. Er wollte den Container verlassen, doch das Sonnenlicht schien seinem mutierten, gallertartigen Körper nicht zu behagen. Er begann zu toben, warf sich gegen die Wände und stieß furchtbare Laute aus, die keine menschlichen Stimmbänder je zustande gebracht hätten. Rijnhard war es, der dem Spuk ein Ende bereitete und einen Flammenwerfer auf Soerensen richtete. Was von dem Ding, in das dieser sich verwandelt hatte, übrig blieb, begrub man weit außerhalb des Lagers im Eis.
Angesichts der Veränderungen, die zur selben Zeit mit Ericksen und Tielles vor sich gingen, fasste die schockierte Mannschaft einen schweren Entschluss: Sie koppelte den Container, in dem Soerensens Leiche aufgebart und die Kreatur, zu der er geworden, verbrannt worden war, vom Infra-Block ab, postierte ihn einzeln auf dem Eis und schloss Ericksen und Tielles darin ein. Dann wartete die Crew. Es vergingen kaum zwölf Stunden, bis die beiden ebenfalls zu neuem Leben erwachten. DeFries ordnete nach langem Zögern an, Dieselkraftstoff in den Container zu leiten und das hochexplosive Gemisch anzuzünden.
Just zu dem Zeitpunkt, als der Container in Flammen aufging, erschien Hansens Libelle am Horizont. So wurde der Pilot in die Geschichte mit reingezogen. Er half mit, die Überreste von Ericksen und Tielles zu bestatten und willigte ein, den ausgebrannten Container mit dem Helikopter auszufliegen und im Fjord zu versenken.
Dass das, was für den Tod der drei Männer verantwortlich war, einen Menschen auf der Oberfläche des Kraters gefährden und kontaminieren konnte, hatte niemand vorhergesehen. Licht- und wärmeempfindlich, wie die Substanz zu sein schien, musste erst die ins Schluckloch geworfene Magnesiumfackel sie zu einer Art Schutzreflex getrieben haben. Womöglich hätten sich die Gebilde schleunigst wieder in die Tiefe zurückgezogen, ohne Schaden anzurichten, wenn Chapmann nicht versucht hätte, die Kamera zu retten und dabei mit einem der Gallertbrocken in Berührung gekommen wäre …
»Ich möchte ihnen eine Geschichte erzählen, an der ich selbst Teil hatte«, begann Krogh mit ernster Miene zu sprechen, nachdem zwischen uns und dem oberen Modul minutenlang Funkstille geherrscht hatte. »Die Geschichte eines zehnjährigen dänischen Jungen. Er war blond, hatte blaue Augen und war sehr groß für sein Alter. Ende August letzten Jahres war er mit Verdacht auf Malaria in einem Krankenhaus der ugandischen Stadt Masindi behandelt worden. Als die Mutter spürte, dass das Sterben begonnen hatte, bestand sie auf den Transport ihres Sohnes in die Hauptstadt Kampala.
Dort ging alles sehr schnell: Der Körper des Jungen war bereits von roten Flecken übersät, seine Augen waren blutunterlaufen, seine Leber kaum mehr funktionstüchtig. Das Röntgenbild zeigte, dass sich wässriger Schaum in der Lunge gebildet hatte. Dann verwandelten sich die roten Flecken in schwarz-blaue Blutergüsse. Der Junge war nicht mehr ansprechbar. Die Einstiche der Infusionskanülen hörten nicht auf zu bluten. Blut schoss unter die Haut und bildete dort Taschen, Teile der Haut lösten sich vom Bindegewebe. Der Junge erbrach Lachen von Blut. Die Wissenschaft nennt das, was er unablässig herauswürgte, vomito negro – schwarzes Erbrechen. Dann platzten die Eingeweide. Vermischt mit Stücken der Darmschleimhaut, quoll ein Gemisch aus Blut und Viren aus seinem Körper. Die starren Pupillen weiteten sich und zeigten, dass es auch ins Gehirn blutete. Die Ärzte gaben auf.«
Kroghs Blick
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