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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Stämme des Ostens niedergeworfen und die Ebenen des Westens überflutet. Ihre Worte sind ungeschrieben, ihre Zahlen unbekannt, ihre Formen jede Form. Ihre Wohnorte sind die Länder zwischen den Ländern, in Räumen, die keiner von uns je betrat. Unser Blut ist das Blut der Rache, geschaffen aus dem Blut Qaapras, und unser Geist ist der Geist des Aufstandes gegen die Älteren Götter. Er besitzt das Zeichen und die Zahl und die Form. Er ist der Schlüssel, durch den das Tor von Qur weit geöffnet werden kann.
    Was neu ist, kam von dem, was alt ist. Und was alt ist, soll ersetzen, was neu ist. Dies ist der Pakt, an den du dich erinnern sollst, ehe du den Tempel von Tanatoq betrittst und in den Abgrund hinabsteigst.«
    DeFries atmete hörbar aus und sah mich an. »Hier schließt sich der Kreis …«
    »Was?«, fragte ich begriffsstutzig.
    Der Professor legte den Kopf schräg, blickte ziellos durch den Raum und hob fast andächtig die Arme. »Hier sind wir, Poul, am Ende eines Zeitalters!«
    Ich taxierte ihn. »Sie – glauben allen Ernstes, diese Mauern dort draußen gehören zu diesem Tanatoq-Tempel?«
    »Der Mount Breva ist identisch mit dem mythischen Berg Tana.«
    »So ein Schwachsinn!« Der Alkohol tat mir und meiner Disziplin alles andere als gut, aber ich verspürte nicht die geringste Lust, mich zu zügeln. Nicht nach all dem, was ich heute erlebt hatte und mitanhören musste. Ich erhob mich schwerfällig und stützte mich beim Sprechen an der Containerwand ab. »Bei allem Respekt, das ist Traumtänzerei«, erregte ich mich. »Sie glauben tatsächlich, diesen Unsinn anhand einer Ruine beweisen zu können? Und dann? Was hoffen Sie in Ihrem Tempel zu finden? Die einbalsamierte Mumie von Shudde-M’ell?« Ich kicherte, während DeFries mich nur ausdruckslos und mit vor der Brust verschränkten Armen beobachtete. »Leute, wir schreiben das 21. Jahrhundert«, tönte ich, »das 3. Jahrtausend, das Zeitalter der Superlative und Sensationen. Erinnert sich noch jemand an Howard Carter? Vergesst ihn, Tutanchamun war gestern!« Laut rief ich: »Dänischer Freizeit-Archäologe entdeckt in Grönland die ungeplünderte Grabkammer eines Esh’magonen! Sechzigtausend Tonnen schwerer Sarkophag mit zweihundert Meter langer Wurm-Mumie ab sofort im Kopenhagener Völkerkundemuseum zu besichtigen!« Ich fiel vor Lachen aufs Bett und schlug mit dem Kopf gegen die Containerwand. Alles um mich herum drehte sich. Rohypnol, Rotwein, Göttermythen und verrückte Professoren; ein unheilvoller Cocktail.
    »Nichts für ungut, Jon, aber ich bin müde …«, nuschelte ich, nachdem ich mich wieder halbwegs in der Gewalt hatte. Es war ein Rauswurf, keine Frage, und eine Lüge obendrein. Dennoch spiegelte beides meine ehrliche Empörung gegenüber dem Nonsens wider, an dessen Plausibilität DeFries keine Sekunde lang zu zweifeln schien.
    DeFries wirkte nur einen Augenblick lang gekränkt, nickte jedoch und erhob sich. Vielleicht war er der Meinung, ich sollte über das Gehörte schlafen, um es nüchtern zu beurteilen. Als ob es etwas ändern würde. Bevor er die Tür nach draußen öffnete, schob er mir das Buch mit der Taaloq- Abfassung über den Tisch und sagte: »Hier, lesen Sie es zu Ende und versuchen Sie es zu verstehen. Unser Hiersein ist mehr als nur ein wissenschaftlicher Abenteuerurlaub, Poul. Weitaus mehr.« Das zweite Buch steckte er in seinen Rucksack und verließ ohne jeden weiteren Kommentar den Container.
     
    Ich war wütend; auf DeFries, auf mich, auf meine törichte Entscheidung, die Wahrheit zu verlangen, und über unsere beiderseitige Naivität – meine, die mich an diesen trostlosen Ort verschlagen hatte, und die von DeFries, der seinem Taaloq- Mythos einen nahezu kindlich-hoffnungsvollen Glauben abgewann.
    Weltraum-Eskimos, kosmische Monster … Ich glaube an Außerirdische, die uns hin und wieder besuchen, keine Frage. Sie sind hart und kalt, wiegen ein paar Gramm oder unzählige Tonnen, rasen mit einem Affenzahn durch den Weltraum und glühen auf, wenn sie in unsere Atmosphäre eintreten – und jene, die es tatsächlich schaffen, hier zu landen, zerdeppern entweder Hausdächer oder Autos oder produzieren unschöne Löcher in der Landschaft und enden schließlich in Museen oder Privatsammlungen. Die meisten von ihnen versinken im Meer, ohne dass je ein Mensch von ihnen Kenntnis nimmt. Gelebt hat nach einem Besuch auf dieser Welt jedenfalls keiner von ihnen. Und Monstermythen gesponnen erst recht nicht.
    Ich fühlte ich

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