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Imagon

Imagon

Titel: Imagon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Marrak
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Fingern auf den Tisch. »In der Divina Commedia existiert eine ähnliche Parallele; die des Luzifer und seiner Dienerschaft. Während seine Dämonen durch die Hölle und sogar in die reale Welt hinauszuschweifen vermögen, ist Luzifer selbst zur Ohnmacht verdammt, ein berggewaltiger, bis zur Hüfte im Eis gefangener Koloss, der auf ewig gebunden ist und den Ort seiner Verbannung nicht verlassen kann.
    In gewisser Hinsicht ähnelt Qur einer Staatsqualle. Diese Lebewesen setzen sich aus Hunderten einzelner Organismen zusammen, die einen ganzen Organismus bilden, sich aber ohne weiteres für eine gewisse Zeit aus diesem Lebensverband lösen könnten. Unterhalb einer Schwimmglocke hängen Gruppen verschiedengestaltiger Individuen, die man teils als polypenförmig, teils als medusenförmig ansehen kann. Einige dienen der Verteidigung der Kolonie. Andere sind nur zur Nahrungsaufnahme befähigt; Fresspolypen, die bis zu fünfzig Meter lang werden können. Darüber hinaus gibt es Polypen, deren Mundöffnung verschlossen ist. Sie tragen lediglich männliche und weibliche Keimdrüsen …«
    Fickpolypen, dachte ich und leerte mein Glas. Der Wein stieg mir zu Kopf, und DeFries wirkte auf mich fast schon selbst wie einer von Luzifers ausgeschwärmten Dämonen, der den Auftrag hatte, mich mit Schwachsinn über Urzeitmonster zu quälen.
    »Anscheinend existierte ursprünglich nur eine einzige riesige Kreatur«, fuhr DeFries in seinem Monolog fort, »ein Staatswesen oder Wesensverband, der vor Urzeiten aus einer gottlosen, dunklen Region des Kosmos hierher gelangt ist und von dem es heißt, dass es mit tausend Augen schaue, aber doch selbst blind sei.«
    »Das sind Geschichten«, protestierte ich mit schwerer Zunge. »Fantasy-Geschichten und Legenden! Wir sind Wissenschaftler, Jon, und keine Fantasten!«
    »Die Wissenschaft ist nicht allein dazu geschaffen, um Mythologie und Religion zu widerlegen«, konterte DeFries, »sondern mitunter auch, um sie zu beweisen. Lovecraft wusste um die Existenz dieser Wesen«, beteuerte er. »Und dieses Wissen kostete ihn das Leben.«
    »Lovecraft war ein klaustrophiler Schund-Autor, dem sein ungesunder Lebenswandel zum Verhängnis geworden ist, mehr nicht. Letztlich hat ihn der Krebs dahingerafft.«
    »Mag sein«, gab DeFries zu. »Aber können Sie auch sagen, was die Ursache für den Krebs war?« Er fixierte mich über den Rand seiner Brille hinweg. Seine Augen wirkten in seinem blassen, wächsernen Gesicht wie Obsidiankristalle. »Wissen Sie denn, von welcher Substanz er kontaminiert wurde, ehe diese Geschwüre in seinem Körper zu wuchern begannen?«
    Ich verdrehte die Augen. Langsam glaubte ich, dass der Alkohol, den ich mir einfüllte, sich in DeFries’ Kopf breit machte, nicht in meinem.
    »Was hat Ihnen Broberg über Jorgensen erzählt?«, wollte er wissen. »Lassen Sie mich raten: Er hat Ihnen erzählt, Jorgensen leide an einer schweren Lungenentzündung, nicht wahr?« DeFries beugte sich ein Stück vor. »Jorgensen musste nicht wegen einer Lungenentzündung ins Krankenhaus, Poul. Er hatte Lungenkrebs. Als er die Eishalle zum ersten Mal betreten hatte, war er noch kerngesund. Innerhalb von vier Wochen hatte sich der Krebs in ihm ausgebreitet wie bei einem Menschen sonst nur in drei Jahren. Die Schmelzwasserdämpfe, die sich in den Hallen ausbreiteten, waren durchsetzt von Shoggothen-Partikeln. Wir alle haben sie eingeatmet, Poul. Wir alle!«
    Ich starrte DeFries erschüttert an. »Daher gefriert das Schmelzwasser nicht an der Oberfläche, sondern fließt bis zum Schluckloch …«
    »… um sich in der Tiefe mit dem Shoggothen zu vereinen«, vollendete DeFries den Satz. »Ja, Poul. Allein diese Kreatur unter dem Eissee ist in der Lage, Kraft ihrer Beschaffenheit das gesamte Leben auf diesem Planeten zu kontaminieren und innerhalb weniger Jahre zu vernichten!«
    »Augenblick, sagten Sie: hatte?«
    DeFries wirkte für einen Moment irritiert. »Was meinen Sie?«
    »Sie sagten: Jorgensen hatte Lungenkrebs. Ist er geheilt?«
    »Nein, Dr. Jorgensen ist gestern morgen gestorben.«
    Minutenlang schwiegen wir beide. Trotz des Weins begann ich langsam zu begreifen, warum DeFries so hartnäckig dagegen gewesen war, Chapmann und mich einen Blick in die Eishalle werfen zu lassen, und warum mir Maqi so energisch den Eintritt verwehrt hatte.
    Nun ahnte ich, was DeFries angedeutet hatte, als er sagte, ich könnte mich ›im Innern verletzen‹.
    Und du bist trotzdem hineingegangen, schalt mich die innere

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