Imagon
Stimme. Bravo, wie du dir den Weg freigekämpft hast, Akademiker. Tapfer, tapfer. Morituri te salutant!
»Wollen Sie wissen, wie der Taaloq weitergeht?«, schreckte mich DeFries aus meinen Gedanken.
Ich holte tief Luft und zuckte die Schultern. Mein Gegenüber beließ es bei einem Seufzen. »Wie gesagt, man nimmt an, dass die Inuit vor 4000 Jahren aus Mittelasien nach Nordgrönland eingewandert sind. In Ostkanada existiert dieses Volk bereits seit über 8000 Jahren. Die ursprüngliche Kultur der Paläo-Eskimos verschwand vor etwa 900 Jahren aus Grönland und wurde durch die Thule-Kultur ersetzt. Oder besser gesagt: von ihr assimiliert.
Der Taaloq erzählt eine völlig konträre Geschichte über das Ur-Volk und seine Herkunft. Sie beginnt mit den Worten: Wir sind die Diener der Aqunaki … « DeFries sah wieder über den Rand seiner Brille. »Dieser Begriff bedeutet ›die Verlorenen‹. Eine andere Übersetzung nennt sie ›die Gestrandeten‹. Ich möchte betonen, dass es sich dabei nicht zwingend um die Paläo-Eskimos handeln muss.« Er blinzelte in sein Notizbuch, als habe er für einen Moment den Faden verloren. Wahrscheinlich hatte ihn aber nur mein Blick verunsichert. Er las: »Wir sind die Diener der Aqunaki aus einem Land jenseits der Sterne, aus einer Zeit, als Nubor in der Begleitung strahlender Geister auf der Erde weilte …«
»Gott, gütiger«, murmelte ich. »Außerirdische …« Ich lachte auf, schüttelte den Kopf und spürte den Alkohol um meine Neuronen kreisen. »Außerirdische Eskimos und Sternenmonster! Als Nächstes werden Sie mir erzählen, dass dort draußen seit 4000 Jahren ein riesiges Raumschiff unter dem Eis begraben liegt und der Krater nur entstanden sei, weil es in seinem maroden Fusionsantrieb zu einer Kernschmelze kam.«
DeFries hatte sich zurückgelehnt. Sein Kopf ruhte in seiner Hand, sein Zeigefinger (neben seiner Nase) und sein Mittelfinger (auf seinen Lippen) bildeten ein L, während sein Daumen das Kinn stützte. »Sie sind betrunken, Poul«, stellte er fest.
»Nicht betrunken genug, um dem, was Sie mir weiszumachen versuchen, nicht mehr folgen zu können.« Ich winkte lässig ab. »Lesen Sie schon weiter, ich verspreche Ihnen, Sie nicht mehr zu unterbrechen.«
DeFries zog das Notizbuch auf den Tischrand. »… aus einem Land jenseits der Sterne«, wiederholte er betont langsam. »Wir haben den Fall der Götter überlebt und den Grimm der Alten über die Erde ziehen sehen. Wir entstammen einer Rasse von Wanderern jenseits der Nacht und haben die Zeit überlebt, als Sedmeluq regierte, und seine Diener plagten unsere Generationen. Wir haben auf Bergspitzen überlebt und unter dem Eis, haben in Treue den Dämonen gedient und wurden betrogen. Und Taqana versprach, uns nicht mehr mit Wasser und Wind anzugreifen, doch die Götter sind vergesslich.
Unter den Bergen von Tana, unter den Meeren der Erde, liegt schlafend der Gott des Grimmes. Wer ihn erweckt, ruft die Rache der Älteren auf sich und die Welt hernieder. Jede Stunde ist ein Leben; jene von Draußen haben Opferplätze erbaut, um Sedmeluqs Diener zu nähren. Und das Blut der Schwächsten ist das Opfer für Sedmeluq, den Gott, der keine wahren Zeichen trägt.
Paamuta und die Söhne von Enug sind seine Boten, die Abkömmlinge von Ninigaal.« DeFries sah kurz auf. »Ninigaal ist der Taaloq- Terminus für Shub-Niggurath«, erklärte er. »Oben zerreißen sie in Stücke, unten bringen sie Zerstörung. Sie sind die Kinder der tiefern Welt. Oben brüllen sie laut, unten schnattern sie schaurig. Sie sind die großen Stürme vom Himmel, das bittere Gift der Götter. Mauern durchdringen sie wie eine Flut. Von Dorf zu Dorf richten sie Verheerung an; nichts kann sie aussperren, kein Zauber sie bannen. Durch Spalten fließen sie wie Wasser, Zelte blasen sie fort wie Winde. Sie sind die Pein, die sich auf unsere Rücken legt.
Im Berg Tana wurden sie geboren und als Schrecken aufgeboten. Sie wohnen in den Höhlen der Welt, leben an den wüsten Orten der Erde, an den Orten zwischen den Orten. Sie wandern über die Berge des Sonnenuntergangs, und auf den Graten der Dämmerung schreiten sie dahin. Sie kriechen durch Höhlen und liegen über Eiswüsten. Ihre Orte sind außerhalb unserer Orte, zwischen den Winkeln der Erde. Dort liegen sie und lauem, fallen wie Schnee vom Himmel, steigen wie Dunst aus der Erde. Sie kommen zum Kopf herein, zum Herzen und zur Stirn. Sie kommen zur Brust herein und nähren sich vom Blut.
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