Imagon
Bauwerk im Krater real. Nach allem, was vorgefallen ist, brauchte ich die Gewissheit, dass meine Ängste und Träume lediglich einer überspannten Psyche zuzuschreiben sind – und nicht irgendeinem Weltraummonster.«
»Auf was wollen Sie hinaus?«
»Ich möchte dabei sein, wenn Sie den Tempel betreten.«
DeFries steckte das Buch ein. »Sie sind ein Starrkopf, Poul«, urteilte er, ehe er wieder ging. »Aber das waren Sie schon immer.«
Ohne große Motivation bereitete ich die chemische Analyse der Gesteinsproben vor, die ich vom Gipfel des Mount Umos genommen hatte. Rückblickend erschien es mir lächerlich und sinnlos, weiterhin nach den Überbleibseln eines Kometen oder Meteoriten zu forschen. Falls tatsächlich eine Kreatur unter dem Eis für den Krater verantwortlich war, durfte ich nicht mehr Erkenntnisse erwarten als von der Wasser-Analyse. Was gäbe es in geschmolzenem Granit schon zu entdecken? Außerirdische Schleimrückstände? Glasierte Alien-Exkremente?
Mein eigenes Denken deprimierte mich. Ich erkannte mit zunehmender Verbitterung, dass mein Weltbild ins Wanken geraten war. Mehr noch, dass es bereits im Zerfall begriffen war und ich einem kosmischen Unwesen mehr Realität zuerkannte als einem Meteoriten. Dass etwas, das nicht sein durfte, meine berufliche Überzeugung verseuchte. Ich verlor das Interesse an meiner Arbeit, während mein Denken alternierte. Der Boden verschwand langsam unter meinen Füßen.
Ich zerkleinerte gesammelte Granitklumpen und dachte dabei: Was für ein Wesen ist fähig, innerhalb weniger Sekunden einen sechs Kilometer großen Krater zu erschaffen? Wie kann so etwas nach irdischen Gesetzen überhaupt möglich sein? Ein derartiges Wesen darf nicht existieren! Nicht auf dieser Welt!
Du hast mit eigenen Augen gesehen, dass es existiert, beharrte die innere Stimme. Chapmann ist der traurige Beweis dafür.
Aber ist es tatsächlich etwas, das aus dem Weltraum gekommen ist?, zweifelte eine zweite Stimme. Gibt es auch dafür einen Beweis?
Gibt es überhaupt einen Beweis dafür, dass hier IRGENDETWAS von draußen gekommen ist?, meldete sich die erste. Außer dem bisschen kosmischem Staub im Schmelzwasser?
Nein …, resümierte die zweite. Folglich kann auch diese Kreatur nicht aus dem Weltraum gekommen sein.
Und die erste: Wenn hier absolut NICHTS aus dem Weltraum gekommen ist, warum packst du dann nicht deine Tasche und fliegst wieder nach Hause?
Ich hielt mit dem Zermahlen der Schlacke inne, denn mir war das Gespräch zwischen Hansen und Rijnhard wieder in den Sinn gekommen. Elektrisiert stellte ich den Mörser auf den Arbeitstisch und betrachtete das dunkle Pulver darin. Ursprünglich hatte ich vorgehabt, in den Krater hinabzusteigen und die (nutzlosen) Fotometer-Messdaten abzuspeichern (oder besser: die Geräte gleich vollständig abzubauen), sobald die Gesteins-Analyse lief. Statt dessen setzte ich mich an den Laptop, loggte mich ins Internet ein und öffnete eine Meta-Suchmaschine, die zwei Dutzend Online-Nachrichtendienste durchforschte. Meteorit hin, Monster her, das Institut hatte mich hierher geschickt, um die Umstände aufzuklären, unter denen der Krater entstanden war – und das würde ich verdammt noch mal auch tun!
Ich beschränkte meine Suche auf Nachrichten der letzten drei Tage und gab als Suchtext die Stichwörter ›Eishöhle‹ und ›Scoresby Sund‹ ein. Wenige Sekunden später saß ich vor einer Liste von gut vierzig Seitenverweisen. Als ich jedoch versuchte, ihnen zu folgen, stieß ich nacheinander auf Fehlermeldungen wie DOKUMENT NICHT GEFUNDEN, SERVER ANTWORTET NICHT oder SEITE KANN NICHT ANGEZEIGT WERDEN. Hinter drei Verweisen verbargen sich lediglich graue Hintergründe mit der Information UNERLAUBTER ZUGRIFF.
Mit viel Glück fand ich schließlich zwei Seiten, die nicht gesperrt oder gelöscht worden waren, sondern nur von Störfenstern blockiert wurden, die die gesuchten Seiten unmittelbar nach dem Laden ersetzten.
Nachdem ich die Meldungen überflogen hatte, sah ich einen Großteil meiner Befürchtungen bestätigt: Die Agenturen berichteten mehr oder weniger ausführlich über den partiellen Einsturz einer riesigen Eishöhle unter dem Weitershausengletscher. Ihre Mündung, so erklärte das Dänische Polarzentrum, habe bis vor kurzem noch unter dem Meeresspiegel gelegen.
Man muss es sich folgendermaßen vorstellen: Eine Gletscherzunge, deren Eisteppich sich – wie die des Weitershausengletschers – bis zu zweihundert Meter weit in einen
Weitere Kostenlose Bücher