Imagon
mich im Geiste wie für einen Prunkball gerüstet, um am Ort der Veranstaltung festzustellen, auf einem albernen Kindergeburtstag gelandet zu sein. Trotz meines Verdrusses ertappte ich mich nach einem weiteren Glas Wein, mit dem ich meine Frustration in Müdigkeit zu verwandeln versuchte, dabei, in dem Notizbuch zu blättern. DeFries besaß eine filigrane, fast als kalligrafisch zu bezeichnende Handschrift, die stellenweise etwas zu selbstverliebt barock erschien. Ich befand, dass der Taaloq als Schlaflektüre dienlich genug sein würde, und setzte mich mit der Weinflasche in der Rechten und dem Buch in der Linken aufs Bett.
Iniia, die Königin des Tar, brach zum Abgrund auf, las ich. Sie trat aus den Toren der Lebenden vor die Tore des Todes. Aus den Ländern, die wir kennen, in jene, die uns verborgen sind, in das Land Qur, zur schwarzen Erde, dem Land von Aasaq. In das Haus ohne Wiederkehr setzte sie ihren Fuß, in die immer unbeleuchtete Höhle, wo Schalen mit Lehm auf die Opfertische gehoben werden und Näpfe mit Staub die Nahrung ihrer mit Flügeln bekleideten Bewohner sind …
Ich war geneigt, das Buch beiseite zu legen. Ungeduldig blätterte ich weiter, wie viel dieser absurden Götterepopöe ich noch zu bewältigen hatte, und stellte beruhigt fest, dass die Geschichte – wenn sie sich überhaupt als solche bezeichnen ließ – nach fünf Seiten endete. Ein Trost angesichts der Substanz dieses Werkes.
Als Finsternis ruhte der Wächter Ninniraqa über den Toren Qurs, als Iniia vor ihn trat und zu ihm sprach: Diener der Tiefe, öffne das Tor, dass ich eintrete! Öffne, damit ich nicht das Tor zerstöre und die Mauern mit Gewalt überwinde!
Der Diener rollte sich zusammen und antwortete: Ich gehe zu Sedmeluq und kündige dich an. Dann glitt er hinab ins Land Qur, erschien vor Sedmeluq und sagte: Wisse, Iniia steht vor den Toren.
Sedmeluq sprach: Geh, Ninniraqa, tu ihr die Tore auf und behandle sie so, wie es im alten Vertrag geschrieben steht!
Daraufhin stieg Ninniraqa wieder empor und sprach zu Iniia: Tritt ein, dass Qur erstrahle und Sedmeluq sich an deiner Gegenwart erfreue. Daraufhin fiel Dunkelheit auf Iniia und trug sie zu den Orten der Nacht.
Am ersten Tor jedoch nahm der Diener Iniia ihre Elfenbeinkrone. Und Iniia fragte: Warum hast du meine Krone genommen“? Ninniraqa antwortete: Der alte Vertrag legte vor der Zeit die Gesetze von Qur fest. Tritt ein durch das erste Tor! Am zweiten Tor nahm ihr Ninniraqa den Schmuck von den Handgelenken, am dritten das Elfenbein um ihren Hals. Am vierten Tor verlor Iniia den Schmuck auf ihren Brüsten, am fünften Tor den Elfenbeingürtel um ihre Hüften. Am sechsten Tor nahm Ninniraqa den Schmuck um ihre Fußgelenke, und am siebten Tor ihren Elfenbeinstab.
Ohne Schutz und Talismane stieg Iniia hinab ins Land Qur und erschien vor Sedmeluq. Und Sedmeluq schrie bei ihrem Anblick auf rief den schwarzen Schamanen Namaar herbei und sprach zu ihm: Geh, sperr sie ein! In Dunkelheit binde sie und lasse die Geister gegen sie frei! Gegen ihre Augen: die Geister der Dunkelheit! Gegen ihr Herz: die Geister des Blutes! Gegen ihren Kopf: die Geister des Zornes! Gegen ihren ganzen Körper: die Geister von Qur!
Die Eleaqata, gesichtslose Götter und schreckliche Richter, versammelten sich um Iniia. Mit dem Blick der Alten töteten sie Iniia und hängten sie wie einen Leichnam an einen Pfosten. Sie rissen ihre Glieder von den Schultern und den Hüften, ihre Augen aus den Höhlen und ihre Ohren von ihrem Kopf.
Sedmeluq jauchzte vor Freude.
Iak Sakkak und Qaapra priesen Sedmeluq, und die Älteren erstarrten in Furcht.
Simiut, unser Herr, erhielt die Nachricht von Iniias Diener Nuubur. Er vernahm von ihrem Schlaf im Lande Qur, erfuhr, wie das Gesicht des Abgrundes sein Maul aufgerissen und die Königin des Himmels verschlungen hatte. Simiut rief Eis und Wind herbei und formte aus ihnen zwei mächtige Geister; den Geist der Erde und den Geist des Eises.
Und laut sprach er: Erhebt euch und richtet eure Augen auf das Land ohne Wiederkehr. Die sieben Tore werden sich für euch öffnen. Kein Zauber soll euch fernhalten, denn meine Zahl ist auf euch. Nehmt Speise und Wasser des Lebens und findet den Leichnam Iniias. Verstreut die Speise sechzig Mal, und versprengt das Wasser sechzig Mal auf ihrem Leib, auf dass sie auferstehe!
Auf riesigen Schwingen flogen die Geister zum Berg Tana. Ninniraqa sah sie nicht. Unsichtbar passierten sie ihn und die sieben Tore, traten ein in den
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