Immer Ärger mit Opa: Roman (German Edition)
ja nichts.
Klappe halten, rein ins Auto, so tun, als würde mich die alte Salzstadt mit den abgesackten ausgebeulten Mauern und den prächtigen Giebelfassaden noch interessieren, auf der Fahrt übers Land dann Weisheiten von mir geben wie: »Ich wusste gar nicht mehr, wie flach die Landschaft hier ist. Wenn ich aus München rausfahre, bin ich immer schnell in den Bergen.«
Oder, eine gute Autostunde später: »Oh, die Heide blüht schon bald. Ich sehe die ersten lila Blüten. Und dieser würzige Duft – einfach himmlisch.«
Die Tatsache, dass es sich hierbei nur um ein kleines privates Fleckchen Heide handelte, während sich drumherum Weiden, Mais- und Weizenfelder aneinanderreihten, fand ich nebensächlich.
Der Anblick eines baufälligen Schafstalls entlockte mir sogar ein sehnsuchtsvolles Seufzen. Ich wollte mir mal eben einbilden, alles wäre gut. Ich kehrte zu meiner vollkommen normalen Familie zurück, und alle empfingen mich mit offenen Armen. Verloren hatte ich nichts, schon gar keine Tupperdose mit brisantem Inhalt. Am Abend würde ich »Gute Nacht, John-Boy!« rufen und ab morgen früh das harte, aber glückliche Leben im Schoß der Meinigen genießen.
Mama schaute mich über die Schulter an wie eine grenzdebile Touristin. Papa runzelte die Stirn und warf mir einen schnellen Blick durch den Rückspiegel zu. »Geht es dir gut, Spatz? Muss ja ein Schock für dich gewesen sein, als Hermann so einfach bei dir aufgetaucht ist und dann … na, dann eben …«
»Olaf«, sagte Heidi. »Unsere Tochter ist nicht mehr ganz bei sich. Siehst du, jetzt heult sie schon wieder. Ist ja unerträglich. Hermann war vierundneunzig. Da darf man ja wohl mal abtreten, ohne dass die Nachkommen sich in einen Wasserfall verwandeln.«
»Ich heule überhaupt nicht«, widersprach ich schniefend.
»Das merke ich«, entgegnete Mama und reichte mir ein Päckchen Papiertaschentücher. »Wie hast du es eigentlich geschafft, die Urne zu bekommen? Wir haben uns ziemlich gewundert, als deine Nachricht kam, dass du Opa gleich mitbringst.«
»Was?« Ich verstand gerade gar nichts.
Mama musterte mich scharf. »In Deutschland ist es per Gesetz verboten, den Angehörigen die Asche eines Verstorbenen auszuhändigen. Nur ein Bestatter hätte die Urne zu uns in die Heide bringen dürfen.«
Nebelschwaden, bitte kommt zu mir zurück!
»Wir haben uns gedacht, dass du in München die richtigen Leute kennst und deshalb eine Ausnahmegenehmigung bekommen hast«, warf Papa ein.
»Äh … genau.«
Was war da passiert im Krematorium? Konnte mich mal bitte jemand auf der Stelle aufklären?
Mama ließ das Thema zum Glück fallen. »Hat Opa noch was gesagt, bevor er gestorben ist? Wir fragen uns alle, was er von dir wollte. So einfach verschwinden – das passte überhaupt nicht zu ihm.«
Zu ihm nicht, dachte ich. Zu einigen anderen Lüttjens schon. Dann beobachtete ich Mama. Täuschte ich mich, oder wirkte sie auf einmal sehr nervös?
»Jetzt überhol endlich diesen Trecker! Ich hab doch gesagt, dass ich noch mal weg muss.« Letzteres galt Papa, der trotz gerader Strecke stur hinter dem stinkenden Traktor blieb. Dieselgeruch wehte zum Fenster herein und vertrieb den Duft nach blühendem Heidekraut. Mir war das ganz recht. Idyllische Düfte passten grad nicht zu meiner Stimmung.
»Dösbaddel«, murrte Mama.
Papa schwieg. Er hatte so eine Art zu schweigen, die mich auf einmal sehr an Großtante Marie erinnerte. Marie war Oma Gretes jüngere Schwester, und ich hatte sie mal »die stille Weltmeisterin« genannt. Sie konnte tagelang stumm bleiben.
Phänomenal!
Angefangen hatte das schon in meiner Kindheit, aber richtig gut wurde sie darin kurz bevor ich nach München verschwand. Ihr Rheuma war damals sehr schlimm geworden, und weil sie nicht mehr weggehen konnte, verzog sie sich nach innen. So hatte ich das jedenfalls gesehen.
Kurz tippte ich Papa auf die Schultern. »Sag mal, kriegst du Rheuma?«
»Was?«
»Nichts, vergiss es.«
Ich lehnte mich wieder zurück und ließ ihn schweigen. Schien ihm gutzutun. Möglicherweise war Mama ja sein persönliches Rheuma.
»Also?«, wandte sich Mama wieder an mich. »Hat er nichts mehr gesagt?«
»Nur dass er eingeäschert werden möchte«, gab ich Auskunft und schluchzte noch ein bisschen rum. Aus den Augenwinkeln registrierte ich dabei ganz eindeutig, wie erleichtert sie war.
Merkwürdig. Wovor sie wohl Angst hatte? Mama war der furchtloseste Mensch, den ich kannte. Die Familienlegende besagt, dass sie
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