Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Immer dieser Michel

Immer dieser Michel

Titel: Immer dieser Michel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Astrid Lindgren
Vom Netzwerk:
ihr, und Angst vor ihr hatten auch die anderen im Armenhaus.
    "Seht, sie geht wie ein reißender Löwe durch die Schafherde", sagte Stolle-Jocke immer. Er war etwas wunderlich, der Jocke, und sprach, als lese er aus der Bibel vor, aber er war gutmütig, und Alfred mochte seinen alten Großvater sehr gern.
    Sie, die im Armenhaus lebten, bekamen fast nie so viel, daß sie sich richtig sattessen konnten, und das war eine Not, fand Michels Mutter.
    "Die Ärmsten, sie müssen doch auch etwas haben, wenn Weihnachten ist", sagte sie. Und deshalb sah man einige Tage vor Weihnachten Michel und Ida mit einem großen Korb zwischen sich den verschneiten Weg zum Armenhaus hinunterwandern. In 84
    den Korb hatte Michels Mutter allerlei gute Sachen gepackt. Da gab es Kostproben von allen Würsten und von der Fleischsülze und dem Schinken und Weißbrot und Pfefferkuchen und Safran-Stollen und Kerzen und auch eine kleine Dose mit Schnupftabak für Stolle-Jocke.
    Nur jemand, der selbst lange hat hungern müssen, kann sich vorstellen, wie froh sie im Armenhaus waren, als Michel und Ida zu ihnen kamen. Am liebsten hätten sie alle sofort angefangen zu essen: Stolle-Jocke und Kalle-Karo und Johann-Ein-Öre und Trödel-Niklas und Lumpen-Fia und Unken-Ulla und die Vibergsche und Salia Amalia und wie sie alle hießen. Aber die Maduskan bestimmte:
    "Nicht vor Heiligabend - damit ihr's wißt!"
    Keiner wagte etwas dagegen zu sagen.
    Michel und Ida gingen nach Hause, und dann wurde es Heiligabend. Es war schön in Katthult an diesem Tag und am Tag danach auch. Da fuhren sie alle zur Christmette in die Lönneberger Kirche, und Michel war richtig glücklich, wie er so im Korbschlitten dahinfuhr, denn Markus und Lukas liefen, daß der Schnee um ihre Hufe wirbelte und sie alle anderen Schlitten weit hinter sich ließen.
    Während der ganzen Christmette saß Michel brav und still auf seinem Platz, ja, er benahm sich so gut, daß seine Mutter darüber in ihr blaues Schreibheft schrieb:
    "Dieser Junge ist eigentlich fromm; in der Kirche macht er nicht den geringsten Unfug."
    Den ganzen ersten Weihnachtstag war Michel genauso friedlich.
    Er und Ida spielten artig mit ihren Weihnachtsgeschenken, und über Katthult lag der herrlichste Frieden.
    Aber dann kam der zweite Weihnachtstag, und Michels Vater und Michels Mutter sollten zum Weihnachtsschmaus nach Skorphult fahren. Skorphult war ein Hof am anderen Ende der Gemeinde.
    Alle in Lönneberga kannten ja Michel, und deshalb waren die Kinder nicht eingeladen worden.

85
    "Ach, mich stört es nicht", sagte Michel. "Bloß die Skorphulter können einem leid tun. Die armen Menschen, auf diese Weise lernen sie mich nämlich niemals kennen!"
    "Nein, und mich auch nicht", sagte Klein-Ida.
    Beabsichtigt war natürlich, daß Lina im Hause bleiben sollte, um auf die Kinder zu achten, aber bereits früh am Morgen fing sie an zu jammern und wollte unbedingt ihre Mutter besuchen, die in einer Kate dicht bei Skorphult wohnte. Lina hatte sich wohl vorgestellt, wie gut es wäre, im Schlitten mitfahren zu können, wenn er doch sowieso in die Richtung fuhr.
    "Ach, ich kann auch auf die Kinder achten", sagte Alfred. "Zu essen ist ja da, und ich werde schon aufpassen, daß sie keine Streichhölzer oder sonst etwas anrühren."
    "Sicher, aber du weißt doch, wie es mit Michel ist", sagte Michels Vater und starrte düster vor sich hin. Aber da sagte Michels Mutter:
    "Michel ist ein netter kleiner Junge. Er macht keinen Unfug -
    zumindest nicht zu Weihnachten. Heul nicht, Lina, du darfst mitfahren!" Dabei blieb es.
    Alfred, Michel und Ida standen am Küchenfenster und sahen den Schlitten den Abhang hinunterfahren, und als er nicht mehr zu sehen war, machte Michel einen' Bocksprung.
    "Hei! Jetzt werden wir Leben in dieses Haus bringen", sagte er.
    Aber plötzlich zeigte Ida mit ihrem dünnen Zeigefinger auf den Weg draußen.
    "Seht mal, da kommt Stolle-Jocke", sagte sie.
    Ja, wirklich", sagte Alfred. "Was ist denn da schiefgegangen?"
    Es war nämlich so, daß Stolle-Jocke nicht ausgehen durfte. Er war etwas seltsam im Kopf und konnte allein nicht zurechtkommen.
    Jedenfalls behauptete das die Maduskan.
    "Er findet weder hierhin noch dorthin", sagte sie. "Und ich habe keine Zeit, umherzurennen und nach ihm zu suchen, wenn er sich verläuft."

86
    Nach Katthult aber fand Jocke immer, und nun kam er den Weg entlang wie ein Häufchen Elend. Die weißen Haare flatterten ihm um die Ohren, und bald stand er schnaufend in der

Weitere Kostenlose Bücher