Immer dieser Michel
bedecken, damit der Wolf die Grube nicht vorher sieht", sagte er zufrieden, und Alfred stimmte zu.
Das ist richtig! Listig muß man sein, sagt Stolle-Jocke immer und fängt die Läuse mit den Zehen", sagte Alfred.
So pflegte man nämlich in Lönneberga zu sagen. Nur Alfred hätte es nicht sagen dürfen, denn Stolle-Jocke war sein Großvater, der im Armenhaus von Lönneberga saß, und über seinen Großvater soll man sich nicht lustig machen. Alfred meinte es natürlich nicht böse, keineswegs. Er sagte nur das, was alle anderen sagten.
Dann war nur noch auf den Wolfswinter zu warten, der ja kommen mußte. Und er kam auch. Kurz vor Weihnachten gab es Frost, und mit einemmal fing es an zu schneien, daß es eine Freude war. Es schneite über ganz Katthult und über ganz Lönneberga und über ganz Smaland, bis alles unter einer einzigen Schneedecke lag. Die Zaunlatten ragten gerade noch heraus, so daß man sehen konnte, wo die Wege waren. Aber daß sich eine Wolfsgrube zwischen der Vorratskammer und dem
Tischlerschuppen verbarg, das konnte jetzt niemand mehr erkennen. Darüber lag der Schnee, eine weiche weiße Matte, und 82
Michel betete jeden Abend, daß seine Äste und Zweige nicht brechen möchten, bevor der Wolf kam und in seine Grube fiel.
Jetzt hatten sie in Katthult viel zu tun, denn dort wurde Weihnachten gründlich vorbereitet. Zuerst die große Weihnachtswäsche. Lina und Krösa-Maja knieten auf der eiskalten Brücke über dem Katthultbach und spülten Wäsche, bis Lina weinte und auf ihre Finger hauchte, weil sie vor Frost schmerzten. Das große Weihnachtsschwein wurde geschlachtet, und nun, sagte Lina^ hatte man selbst kaum noch Platz in der Küche zwischen all den Fleischwürsten, den Klößen, den Bratwürsten und Leberwürsten, die sich neben Schinken und Sülze und gepökelten Schweinsrippen drängten. Dünnbier gehörte auch dazu, wenn Weihnachten war. Das hatte Michels Mutter in dem großen Holzbottich im Brauhaus gebraut. Gebacken wurde, daß einem schwindlig werden konnte: Sirupbrot, feines Roggenbrot und Safranbrot und Weizenbrot und Pfefferkuchen und besonders gute kleine Brezeln und Sahnebaisers, bunte Kekse und Spritzgebäck, ja, aufzählen kann man nicht alles. Kerzen mußte man
selbstverständlich auch haben. Michels Mutter und Lina brachten fast eine ganze Nacht damit zu, Kerzen zu ziehen, große Kerzen und kleine Kerzen und Baumkerzen, denn nun sollte wirklich Weihnachten werden. Alfred und Michel spannten Lukas vor den Holzschlitten und fuhren in den Wald, um einen Weihnachtsbaum zu schlagen, und Michels Vater ging in die Scheune und kramte einige Hafergarben hervor, die er für die Spatzen aufbewahrt hatte.
"Es ist natürlich eine wahnsinnige Verschwendung", sagte er,
"aber wenn Weihnachten ist, sollen es die Spatzen auch einmal gut haben."
Es gab vieles, woran man denken mußte, und viele, die es auch einmal gut haben sollten, wenn Weihnachten war. All die Armenhäusler, die Menschen im Armenhaus! Du weißt sicher nicht, was es mit einem Armenhaus auf sich hatte, und darüber kannst du nur froh sein. Ein Armenhaus ist etwas, was es in 83
früheren Zeiten gab, und wenn ich davon alles genau erzählen wollte, würde es schauerlicher werden als sämtliche Schreckensgeschichten von Krösa-Maja über Mörder und Geister und wilde Tiere. Wenn du dir eine häßliche alte Hütte mit einigen Zimmern darin vorstellen kannst und die ganze Hütte voll mit armen, verbrauchten alten Menschen, die dort zusammen wohnen
- in einem einzigen Durcheinander von Dreck und Schmutz und Läusen und Hunger und Elend, dann weißt du, wie damals diese Armen in einem Armenhaus lebten. In Lönneberga war das Armenhaus bestimmt nicht schlechter als anderswo, aber trotzdem war es schrecklich genug, dort zu landen, wenn man alt geworden war und sich nicht mehr selbst helfen konnte.
"Armer Großvater", pflegte Alfred zu sagen, "schöne Tage hat er nicht. Es ginge ja noch, wenn dort nur nicht die herrschsüchtige, zänkische Maduskan kommandieren würde."
Dieser Drache von Weib hatte im Armenhaus zu bestimmen.
Sicher, sie war auch nur eine Armenhäuslerin, aber sie war die boshafteste und größte und stärkste, und deshalb war sie es, die dort kommandierte. Niemals wäre das geschehen, wenn Michel es geschafft hätte, schneller zu wachsen und Gemeinderatspräsident zu werden. Jetzt aber war er leider noch ein kleiner Junge und konnte gegen diese Maduskan nichts ausrichten. Alfreds Großvater hatte Angst vor
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