Immer für dich da (German Edition)
Bewusstsein.
Tully zwang die Sanitäter, sie hinten im Notarztwagen mitzunehmen. Sie saß bei Kate und wiederholte unentwegt: »Ich bin bei dir.«
Kate hatte das Bewusstsein wiedererlangt, war aber benommen. Ihre Haut war so bleich wie ein altes Laken, und ihre sonst so strahlenden grünen Augen wirkten trüb und glasig. Tränen liefen ihr über die Wangen.
Der Krankenwagen fuhr vor der Klinik vor. In der Eile, Kate aus dem Wagen zu hieven und in die Eingangshalle zu bugsieren, wurde Tully aus dem Weg geschoben. Sie stand dort am offenen Wagen und sah zu, wie man ihre beste Freundin mitnahm. Plötzlich wurde ihr in aller Deutlichkeit bewusst, was gerade passierte.
Bei einer Fehlgeburt konnte man verbluten.
»Bitte, Gott«, sagte sie und wünschte zum ersten Mal in ihrem Leben, dass sie beten gelernt hätte, »lass nicht zu, dass ich sie verliere.«
Sie wusste, dass dies nicht das Gebet war, das Kate sich gewünscht hätte. »Und kümmere dich um ihr Baby.«
Zu diesem Gott zu beten, der ihr noch nie zugehört hatte, fühlte sich an, als würde sie Diamanten in einen Fluss werfen. »Katie geht jeden Sonntag in die Kirche«, erinnerte sie ihn, nur für alle Fälle.
Kate lag in dem kleinen grün gestrichenen Krankenzimmer mit Blick auf den Parkplatz und schlief. Neben ihr saß, auf einem Plastikstuhl, Mrs M. und las. Wie immer bewegte sie dabei die Lippen.
Tully trat zu ihr und berührte sie an der Schulter. »Ich hab dir Kaffee gebracht.« Sie ließ ihre Hand auf Mrs M.s Schulter liegen. Zwei Stunden war es fast her, da Kate ihr Baby verloren hatte, und Johnny hatte zwar angerufen, befand sich aber gerade am anderen Ende des Bundesstaates, in Spokane.
»Ich schätze, es ist ein Glück, dass es so früh passiert ist«, sagte Tully.
»Vierter Monat ist nicht früh, Tully«, entgegnete Mrs Mularkey leise. »So was kann nur jemand sagen, der noch nie eine Fehlgeburt hatte. Bud hat es auch zu mir gesagt. Zweimal.« Sie sah auf. »Für mich fühlte es sich so an, als hätte ich jemanden verloren, den ich liebte. Und du weißt ja, wie das ist, nicht wahr?«
»Danke«, erwiderte Tully, drückte Mrs Mularkeys Schulter und trat näher ans Bett. »Jetzt weiß ich, was ich nicht sagen darf. Ich wünschte nur, ich wüsste, wie ich ihr helfen kann.«
Kate schlug die Augen auf und sah sie.
Mrs Mularkey stand auf, trat zum Bett und stand dann Schulter an Schulter mit Tully da.
»Hey«, flüsterte Kate. »Wann kommt Johnny –« Dann brach ihr die Stimme und sie fing an zu zittern.
»Hat jemand meinen Namen gesagt?«
Tully wirbelte herum.
Da stand Johnny im Türrahmen und hielt einen Blumenstrauß in der Hand. Alles an ihm wirkte unordentlich – sein unrasiertes Gesicht sah mit seiner bleichen Haut und dem dunklen Dreitagebart aus wie ein Schwarzweißbild, seine langen Haare waren zerzaust und aus seinen dunkel umrandeten Augen sprach die Erschöpfung. »Ich habe ein Privatflugzeug gemietet. Die nächste Kreditkartenrechnung wird höllisch.«
Er warf die Blumen auf einen Stuhl und ging zu seiner Frau. »Hey, Baby«, flüsterte er. »Tut mir leid, dass ich so lange gebraucht habe.«
»Es war ein Junge«, sagte Katie, brach in Tränen aus und umklammerte Johnny.
Da hörte Tully, wie auch Johnny anfing zu weinen.
Mrs Mularkey schlang ihr einen Arm um die Taille.
»Er liebt sie«, sagte Tully langsam. Die Erinnerung an ihre Nacht mit Johnny hatte ihr irgendwie den Blick verstellt und sie wie ein Insekt im Bernstein der Vergangenheit gefangen gehalten. Irgendwie hatte sie immer gedacht, Kate sei nur seine zweite Wahl, sein Notnagel.
Aber dies hier bewies das Gegenteil.
Mrs Mularkey zog sie sacht vom Bett fort. »Natürlich liebt er sie. Komm, wir lassen sie jetzt allein.«
Sie gingen hinaus auf den Gang, wo Mr M. auf einem unbequemen Stuhl Wache hielt. Als er aufblickte, sah sie, dass seine Augen blutunterlaufen waren. »Wie geht es ihr?«
»Johnny ist jetzt bei ihr«, sagte Mrs M. und fasste ihn sanft an der Schulter.
Zum ersten Mal seit Jahren kam Tully sich wieder vor wie eine Außenseiterin. »Ich sollte doch eigentlich bei ihr sein.«
»Keine Angst, Tully«, erwiderte Mrs M. und sah sie prüfend an. »Sie wird dich immer brauchen.«
»Aber jetzt ist alles anders.«
»Natürlich. Katie ist jetzt verheiratet. Ihr Mädels habt nun verschiedene Wege eingeschlagen, aber ihr werdet immer Freundinnen bleiben.«
Verschiedene Wege.
Das war es, was sie hätte sehen sollen. Doch irgendwie war es ihr
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