Immer für dich da (German Edition)
entgangen.
Die nächsten Monate versuchte Tully, sich in Geduld zu fassen und auf das Beste zu hoffen, doch als ein neues Jahr anbrach und schließlich der Frühling kam, hatte sie schon fast die Hoffnung aufgegeben. Bislang war das Jahr 1988 nicht so gut für sie verlaufen. Jetzt war es ein heißer Tag Ende Mai, und sie bemühte sich nach Kräften, ihre Arbeit als stellvertretende Chefmoderatorin zu genießen. Am Ende der Sendung eilte sie zurück in ihr Büro.
Sie hatte sich gerade an ihrem Schreibtisch niedergelassen, als jemand rief: »Leitung zwei für dich, Tully.«
Sie drückte auf den weißen Knopf für Leitung zwei, der sofort aufleuchtete. »Tallulah Hart.«
»Hallo, Miss Hart. Hier spricht Dick Emerson. Ich bin der Programmleiter für NBC in New York. Ich habe gehört, dass Sie eine Stelle bei einer Nachrichtensendung suchen.«
Tully holte tief Luft. »Das stimmt.«
»Wir suchen eine Reporterin für die Frühnachrichten.«
»Wirklich?«
»Nächste Woche haben wir etwa fünfzig Kandidatinnen zum Vorstellungsgespräch geladen. Die Konkurrenz ist groß, Miss Hart.«
»Ich bin ein Wettbewerbstyp, Mr Emerson.«
»Freut mich zu hören.« Sie hörte das Rascheln von Unterlagen. »Ich weise meine Sekretärin an, Ihnen ein Ticket zu schicken. Außerdem wird sie sich bei Ihnen melden, um Ihnen eine Unterkunft und den Termin Ihres Vorstellungsgesprächs zu nennen. Sind Sie einverstanden?«
»Aber natürlich. Vielen Dank, Sir. Ich werde Sie nicht enttäuschen.«
»Gut. Denn ich hasse es, meine Zeit zu verschwenden.« Er schwieg kurz. »Und bestellen Sie Johnny Ryan schöne Grüße von mir.«
Kaum hatte Tully aufgelegt, wählte sie schon die Nummer von Kate und Johnny.
Kate nahm sofort ab. »Hallo?«
»Ich liebe deinen Mann.«
Einen Augenblick herrschte Stille, dann sagte Kate: »Ach, wirklich?«
»Er hat mir ein Vorstellungsgespräch bei NBC verschafft.«
»Nächste Woche, stimmt’s?«
»Das wusstest du?«
Kate lachte. »Selbstverständlich. Er hat ziemlich lange daran gearbeitet. Und meine Wenigkeit hat die Probeaufnahmen verschickt.«
»Obwohl du so viel um die Ohren hast, hast du dich darum gekümmert?« Tully war beeindruckt.
»Du und ich gegen den Rest der Welt, Tully. Manches ändert sich eben nie.«
»Dieses Mal werde ich’s wirklich allen zeigen«, erklärte Tully lachend. »Endlich, endlich kommt meine Chance.«
New York City war genau so, wie Tully es sich immer erträumt hatte. In ihrer ersten Woche spazierte sie wie Alice im Wunderland durch die geschäftigen Straßen und starrte staunend hinauf zu den riesigen Wolkenkratzern. Dabei hatte sie stets ihre neuen NBC-Visitenkarten zur Hand – für alle Fälle.
Zwei Wochen lang erkundete sie die Stadt, suchte sich ein Viertel, in dem sie wohnen wollte, fand ein Apartment und lernte, sich im U-Bahn-Netz zurechtzufinden. Anstatt sich verloren und einsam zu fühlen, war sie so aufgeregt wegen ihres neuen Jobs, dass das Alleinsein sie nicht weiter bekümmerte. Außerdem konnte man in der Stadt, die niemals schlief, kaum allein sein. Auf den Straßen war immer etwas los, selbst in den dunkelsten Stunden der Nacht.
Und dann ihr Job: Von dem Augenblick an, da sie zum ersten Mal als ausgewiesene Reporterin in das NBC-Gebäude trat, war es um sie geschehen. Jeden Morgen stand sie um halb drei auf, um um vier im Studio zu sein. Obwohl dies eigentlich nicht nötig war, liebte sie es, sich dort aufzuhalten und auszuhelfen, wenn Not am Mann war. Sie folgte Jane Pauley auf Schritt und Tritt und studierte jede ihrer Bewegungen, jede ihrer Eigenarten.
Tully war als Reporterin für Allgemeines angestellt worden, was im Klartext hieß, dass sie Einzelheiten der Storys anderer Reporter zusammentrug. Mit etwas Glück würde sie so irgendwann zu einer eigenen Story kommen, die die gestandenen Reporter nicht mal mit der Kneifzange anfassen wollten – etwa über den größten Kürbis von Indiana oder Ähnliches. Sie konnte es kaum erwarten. Wenn sie nur fleißig ihre Hausaufgaben machte, ergatterte sie irgendwann eine echte Story, und dann käme ihr Durchbruch. Allerdings musste sie zugeben, dass sie noch viel zu lernen hatte, wenn sie Profis wie Pauley und Bryant Gumbel beobachtete. Das waren ihre Idole, und sie verbrachte jede freie Minute damit, sie zu studieren. Zu Hause nahm sie ihre Sendungen auf, spielte sie immer wieder ab und analysierte sie.
Im Herbst 1989 hatte sie sich eingewöhnt und kam sich nicht mehr wie ein Lehrmädchen vor, sondern
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