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Immer verlasse ich dich

Immer verlasse ich dich

Titel: Immer verlasse ich dich Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sandra Scoppettone
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etwa fünf
Zentimeter breit geöffnet wird, eine Kette liegt noch vor. An dem violetten
Schimmer erkenne ich, daß es Tamari ist.
    »Was wollen Sie?« fragt sie mit
heiserer Stimme.
    »Ich will Sasha besuchen. Ich bin
Lauren Laurano. Wir haben uns bereits kennengelernt.«
    Sie schließt die Tür, bevor ich daran
denke, meinen Fuß in die Öffnung zu schieben. Ich hoffe das Beste: Sie fragt
ihn.
    Die Frau aus der anderen Wohnung sagt:
»Sind Sie ein Kanake?«
    Wieso ist es bei ihr in Ordnung, wenn
sie mich mit diesem ethnischen Schimpfwort anredet? Es ist nicht in Ordnung.
»Ich bin Italienerin«, sage ich.
    »Sie sehen gar nicht aus wie ein
Spaghettifresser. Ähneln keinem Spaghettifresser, den ich kenne.«
    Wut steigt in meiner Brust auf. »Wie
würde es Ihnen gefallen, wenn ich Sie als Nigger bezeichnen würde?«
    »Tun Sie das nicht?« kontert sie.
    »Nein.«
    Wir starren einander mißtrauisch an,
als die Tür wieder aufgeht. Diesmal ohne Kette, und Sasha steht dort.
    »Sash«, sage ich.
    »Komm rein.« Er nickt der Frau im
Korridor zu, als sie an mir vorbeigeht.
    Drinnen sieht es immer noch aus wie
nach einem Bombenangriff, und Sasha paßt dazu. Er wirkt dünner als auf der
Beerdigung, und sein blondes Haar fällt ihm in fettigen Locken auf die
Schultern. Er hat abgeschnittene Jeans und ein altes Navy-Sweatshirt an. Seine
Füße sind nackt und schmutzig.
    Tamari sitzt in der Ecke auf dem
Fußboden. Sie hat einen fleckigen, ärmellosen karierten Morgenmantel an. Die
mageren Arme hängen ihr schlaff an den Seiten hinunter. Ihr Gesicht ist
ausdruckslos.
    »Willst du dich setzen?« fragt er.
    Ich will es nicht, tue es aber. Ich
suche mir einen Holzstuhl aus, da bei ihm die Wahrscheinlichkeit geringer ist,
daß er Bewohner hat.
    »Willst du was zu trinken?« fragt er
wie ein Amnesieopfer, das sich vage an die Höflichkeitsformen erinnert.
    »Ich will nur reden, Sash.«
    Er zuckt mit den Schultern, setzt sich
auf den Fußboden und schaut zu mir hoch. Tamari rutscht zu ihm herüber und tut
es ihm nach. Ich komme mir vor wie ihr Guru. Wie stoned sind sie? Wird Sasha
meine Fragen überhaupt verstehen?
    Ich probiere es. »Hat deine Mutter dir
je Geld gegeben?«
    Er und Tamari sehen einander an.
    »Eigentlich nicht«, antwortet er.
    Ich seufze. Was soll eigentlich
nicht bedeuten? »Entweder hat sie oder sie hat nicht«, sage ich und
versuche, mir meine Ungeduld nicht an der Stimme anmerken zu lassen.
    »Wir hatten Hunger, und sie hat uns
eigentlich kein Geld gegeben. Aber hin und wieder hat sie uns in ein Restaurant
eingeladen.«
    Tamari sagt: »Meg hat uns gefüttert.«
    Ich hatte vergessen, daß sie in diesem
Stil redet. Ich muß versuchen, mich davon nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
»Dann hat sie euch nie Bargeld gegeben?«
    »Nein.«
    »Wußtest du, daß sie Blythe Geld
gegeben hat?«
    »Hat sie?«
    »Bescheuerte Blythe«, sagt Tamari.
    »Ja. Sie hat ihr eine ganze Menge
gegeben.«
    »Wer sagt das?«
    »Blythe sagt das.«
    Sasha zündet sich eine Zigarette an.
    »Wieso glauben Sie ihr bloß?« fragt
Tamari.
    »Zum einen habe ich Beweise dafür
gesehen.«
    »Na ja...« sagt Sasha geheimnisvoll.
    Wir sehen ihn an.
    »Sie sagte, sie wolle mich »finanziell
unterstützen‹, wenn ich dann eine Therapie mache, Koks und so aufgebe.«
    Tamari sagt: »Wie kommt’s, daß Sashie
mir das nie erzählt hat?«
    Er antwortet nicht, zieht an seiner
Zigarette, bläst Rauch zum Fußboden.
    »Sie sagte nicht, wo sie diese
»finanzielle Unterstützung‹ hernehmen wollte, oder, Sash?«
    »Nein.« Er schaut zu mir hoch. »Aber
sie machte etwas Komisches.«
    »Was denn?«
    »Hin und wieder gab sie mir einen
großen Krug mit Fahrchips für die U-Bahn.«
    Mir fällt sofort der Krug in Megs
Kleiderschrank ein.
    »Wie oft?« frage ich.
    »Keine Ahnung. Vielleicht alle drei
oder vier Monate. Fing etwa vor zwei Jahren damit an.«
    »Tamari hat sie nie gesehen«, jammert
sie.
    »Hab sie verkauft«, sagt er. »Schätze,
sie kam nicht auf die Idee, daß ich das tun könnte, weißt du, sie verkaufen,
Drogen von dem Geld kaufen.«
    Natürlich wußte Megan das genau. Wie
hatte ich so blöd sein können? Ich springe auf, bedanke mich bei Sasha und
stürze zur Tür.
    »Fahrchips«, sage ich zu Cecchi.
    »Fahrchips?«
    »Ich habe einen Krug mit Fahrchips in
Megs Kleiderschrank gefunden.«
    »Ja, ich weiß«, sagt er. »Ich habe sie
da gesehen.«
    »Und warum hast du nichts davon
erwähnt?«
    »Was? Daß deine Freundin Fahrchips
hortete?«
    »Sie

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