Immer wieder du: Roman (German Edition)
Auto fahren zu dürfen, muss man siebzehn sein.«
»In Australien nicht.«
»Ernsthaft?« Warum hat mir das keiner gesagt? Ich warte seit Ewigkeiten darauf, einen Führerschein zu haben und unabhängig zu sein! Damit hätte der Umzug ans andere Ende der Welt entschieden attraktiver gewirkt.
»Du musst erst einen schriftlichen Test absolvieren, aber danach kannst du auf den Fahrersitz klettern.«
»Wirklich?«
»Was den heutigen Tag betrifft«, fährt Michael fort, erfreut über meine Reaktion, »gibt es eine Buslinie ab Crafers, mit der du direkt nach Adelaide kommst. Ich bringe dich zur Haltestelle, wenn du willst.«
»Okay!«
Amüsiert kratzt er sich am Kopf. »Das Lächeln steht dir sehr gut.«
Statt eine finstere Miene aufzusetzen wie sonst, wenn ich so ein Kompliment höre, muss ich lachen.
Adelaide ist eine große Stadt mit ausgedehnten Vororten, aber das Zentrum ist nicht besonders groß – jedenfalls nicht nach Londoner Maßstäben. Ich springe aus dem Bus und gehe in Richtung East Terrace. Michael hat mir vorher erklärt, dass der Hauptteil der Stadt von vier Straßen eingerahmt wird: North, East, West und South Terrace, und die Straßen dazwischen sind wie ein Gitternetz angeordnet, daher kann ich mich leicht zurechtfinden.
Es ist neun Uhr morgens, und die Geschäfte machen erst um halb zehn auf, aber Michael hat mir erzählt, dass der Botanische Garten die ideale Kulisse wäre, um meine Fotokünste auszuprobieren. Ich habe noch einen halben Film zu verknipsen, bevor ich die ersten Fotos entwickeln lassen kann, und offensichtlich gibt es im Einkaufszentrum einen Fotoshop, der das in einer Stunde erledigt. Insgeheim bin ich schon ganz gespannt, das Ergebnis meiner Arbeit in den Händen zu halten.
Der Haupteingang zum Botanischen Garten ist an der Ecke von East und North Terrace. Ich gehe durch das Tor und biege kurz darauf rechts ab auf einen Pfad, der von Bäumen und Büschen gesäumt wird. Es dauert nicht lange, und ich gelange an einen mittelgroßen Teich, der vollkommen von großen lindgrünen Blättern bedeckt ist. In der Mitte befindet sich eine dunkelgraue Statue. Ich gehe über den sauber gemähten Rasen bis zum Teich und entdecke unzählige rosafarbene Blüten, die in die Höhe schießen. Lilien. Eifrig öffne ich den Reißverschluss der Tasche, hole meine Kamera heraus und trete vom Teich zurück, um die Szene prüfend in Augenschein zu nehmen. Dann zoome ich heran, konzentriere mich auf eine hellrosa Blüte und mache ein Foto davon. Ich gehe um den Teich herum und überlege einen Moment, dann drehe ich an den Einstellungen der Kamera und nehme das nächste Motiv in Angriff. Ich habe noch nicht genug Selbstvertrauen, um viele Fotos nacheinander zu machen. Außerdem habe ich nicht so viel Geld, dass ich es für Filme oder fürs Entwickeln rauswerfen könnte. Aber es könnte besser werden, wenn Michael sein Versprechen hält.
Der Tag ist wieder heiß, und die Morgensonne scheint hell. Nicht das beste Licht, um Fotos zu machen, überlege ich. Wahnsinn, ich denke schon wie eine richtige Fotografin … Vielleicht komme ich später noch mal wieder.
Müßig schlendere ich durch die üppigen Grünanlagen, über kleine Brücken und unter dem größten Baum mit den längsten Ästen hindurch, bis ich schließlich den Botanischen Garten verlasse, um mir die Läden anzusehen.
Vor Dutzenden Cafés und Restaurants stehen Tische auf dem Bürgersteig, und das Klappern der Cappuccinotassen klingt angenehm in meinen Ohren. Träge genießen die Menschen ein Frühstück in der Sonne. Plötzlich sehne ich mich danach, an einem Tisch zu sitzen und mit einer Freundin zu plaudern, und dieser Wunsch versetzt mir einen Stich. Ich habe keine Freunde. Schon gar nicht hier. Jedenfalls noch nicht, und für einen kurzen Moment erscheint mir der Gedanke, in ein paar Wochen an einer neuen Schule anzufangen, gar nicht mal schlecht.
Später gehe ich über dieselbe Straße zurück und bleibe an einem italienischen Café stehen, um mir je eine Kugel Zitronen- und Schokoladeneis zu kaufen und dann so schnell wie möglich in den Botanischen Garten zurückzukehren, bevor das Eis in der heißen Sonne schmilzt. Ich schlecke am Eis und krame dann in einer meiner Einkaufstüten, um mir meine Errungenschaften anzusehen. Ich habe einen neuen Film für meine Kamera gekauft, zwei Kissenbezüge und eine purpurrote Tagesdecke für mein Bett, dazu ein Poster von meiner Lieblingsband Fence . Ich schwärme total für ihren
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