Immer wieder du: Roman (German Edition)
Abendessen in ihrem Hotel. Sie sind am Vormittag angekommen, und die Zeitumstellung macht ihnen zu schaffen, daher lohnt es sich nicht, Richard für zwei Stunden in die Stadt zu schleppen. Er fährt am nächsten Tag auf ein Surfwochenende mit Nathan und der ganzen Clique und am Montag ist Feiertag, daher wird er erst am späten Montagabend zurück sein.
Meine Familie hat ein Apartment in einem Hotel in der Stadt gemietet. Dad hat schon angerufen, um mir die Zimmernummer durchzugeben, deshalb muss ich mich nicht an der Rezeption erkundigen. Meine Absätze klappern über den polierten Boden des weitläufigen Foyers, und ich drücke auf den Knopf für den Aufzug.
Als Senior-Partner in einer Kanzlei ist mein Vater finanziell ganz gut gestellt. Und auch Lorraine hat mit ihrer Firma für Inneneinrichtung ausgesorgt. Meinen Schwestern mangelt es an nichts. Ich versuche nicht daran zu denken, dass sie jetzt in Sussex in einem Haus mit sechs Schlafzimmern wohnen, in dem mehr als genug Platz gewesen wäre, mich vor zehn Jahren aufzunehmen. Aber damals lagen die Dinge anders.
»Sie ist da!«, höre ich eine meiner Schwestern – es ist Olivia, glaube ich – im Apartment kreischen. Einige Schritte, dann fliegt die Tür auf, und vor mir stehen Olivia und Isabel mit strahlenden Gesichtern. Sie fallen mir um den Hals. Ich kann gar nicht aufhören zu lachen.
»Lasst Lily doch erst mal reinkommen«, mahnt mein Vater, löst die Arme seiner Töchter von mir und zieht mich an sich. »Wie geht es dir, mein Mädchen?«, fragt er in mein Haar.
»Gut, Dad, danke«, erwidere ich, und heiße Tränen brennen hinter meinen fest geschlossenen Augenlidern. Es tut immer weh, ihn nach so langer Zeit der Trennung wiederzusehen. Er ist älter geworden. Sein graues Haar ist dünner, seine Falten tiefer. »Wo ist Kay?«
»Hier«, antwortet Kay und kommt in den Flur. Vor Überraschung mache ich große Augen, reiße mich aber schnell wieder zusammen und nehme sie in die Arme. Sie ist in den letzten beiden Jahren so groß geworden! Und wie schlank und hübsch sie ist! Kein kleines Mädchen mehr.
Etwas verlegen tritt sie einen Schritt zurück.
»Wie war euer Flug?«, frage ich.
»Lang«, erwidert Kay grinsend, und mir fällt ein, dass mir diese Frage andauernd gestellt wurde, als ich damals nach Australien kam.
»Ich habe im Flugzeug fünf Filme gesehen«, meldet Isabel sich zu Wort.
» Fünf? Hast du denn überhaupt nicht geschlafen?« Ich tue so, als wäre ich entsetzt.
»Nö«, sagt sie fröhlich.
»Hallo, Lily!«, begrüßt mich Lorraine.
»Hey!«, sage ich, gehe zu ihr und nehme sie in den Arm.
»Ich komme mal besser in den Flur, weil hier ja offenbar die Musik spielt.« Lachend deutet sie auf den schmalen Gang.
»Sorry, sollen wir lieber durchgehen?« Ich weise auf das Wohnzimmer.
»Ja, komm rein! Was möchtest du trinken?«
»Oder sollen wir gleich runtergehen zum Abendessen?«, schlägt Dad vor.
»Essen! Essen!«, ruft Olivia. »Ich sterbe vor Hunger.«
»Ich auch«, lässt Isabel sich vernehmen. Kay zuckt nur mit den Schultern.
»Mir ist es egal«, sage ich. »Ich richte mich nach euch.«
»Wenn man dich so anhört, klingst du inzwischen wie eine richtige Australierin«, hänselt mich Lorraine.
»Im Ernst?«
»Nein«, sagt Dad. »Du klingst noch immer wie Lily.« Er legt mir einen Arm um die Taille. »Holt eure Schuhe«, sagt er zu seinen Töchtern. »Ist es kalt draußen?«, fragt er mich.
»Ein bisschen. Aber wir essen doch unten im Restaurant, oder?«
»Natürlich.« Er lacht und drückt mich an sich. »Das ist mein Mädchen, immer praktisch veranlagt.«
Ich werde rot. Er ist noch immer mein liebevoller Vater, und das wird sich auch nie ändern.
Am nächsten Morgen sind Richard und ich früh aus dem Bett und verabschieden uns an der Haustür. Er bricht zeitig auf, um mit Nathan und Lucy zu fahren, ich gehe in die Stadt, um mit meiner Familie zu frühstücken.
»Pass auf dich auf!«, mahne ich. »Nimm keine Wellen, die größer sind als ich.«
Er lacht. »Dann muss ich am Strand sitzen bleiben und mich sonnen.«
»Das wäre mir auch lieber«, sage ich und versuche die Vorstellung zu verdrängen, dass er auf einen Felsen geworfen wird oder Bekanntschaft mit einem Hai macht.
»Ich passe auf«, verspricht er und drückt mir einen Kuss auf die Nasenspitze. »Ich liebe dich.«
»Ich dich auch.«
»Viel Spaß mit deiner Familie.«
»Den werde ich haben.«
Im Hotel gehe ich direkt zum Apartment nach oben. Olivia
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