Immer wieder du: Roman (German Edition)
Jahren mit Ben auf dem Mount Lofty gesehen habe. In der Stadt wird der Himmel von den Lichtern erhellt, aber oben in den Bergen ist er mattschwarz und voll funkelnder Sterne.
Eine Träne rinnt mir über die Wange und tropft auf meine Bluse.
»Hey«, sagt Richard leise. Ich drehe mich nicht zu ihm um. »Das Bad ist frei.«
»Danke«, bringe ich hervor.
»Ist alles in Ordnung mit dir?«
Ich nicke, unfähig zu sprechen.
»Ich fände es schön, wenn du mir sagst, was dir durch den Kopf geht«, versucht er es.
»Nichts«, lüge ich.
Er probiert es noch einmal. »Du bist hier ganz anders als sonst. Zumindest bist du nicht die Lily, die ich kenne.«
»Hör doch endlich auf damit!«, fahre ich ihn an, aber als ich seinen Gesichtsausdruck sehe, bin ich sogleich zerknirscht. »Tut mir leid«, seufze ich. »Es ist eigenartig, wieder hier zu sein.«
»Ich dachte, du magst Adelaide. Du nimmst die Stadt immer in Schutz, wenn jemand etwas Negatives darüber sagt.«
»Die Leute wissen nicht, wovon sie reden«, erwidere ich verärgert.
»Siehst du?« Er lächelt. »Ich weiß, dass sie dir am Herzen liegt, warum macht sie dich dann so traurig?«
»Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es auch nur wegen der Beerdigung morgen. Ich war noch nie bei einer, weißt du.«
»Oh, verstehe«, sagt Richard.
Ich könnte es dabei bewenden lassen, aber als ich ihm in die Augen schaue, will ich mehr erklären. Ich versuche zu beschreiben, wie ich mich fühle. »Vermutlich war die Zeit damals für mich ein ständiges Auf und Ab, erst aus England weg, dann an einer neuen Schule anfangen. Aber ich hatte hier Fuß gefasst, und dann hat Mum mit Michael Schluss gemacht, und wir mussten wieder weg.«
»Aber du hättest doch bleiben können, oder?«, hakt er nach.
Ich bringe ein schiefes Lächeln zustande. »Wäre dir das lieber gewesen?«
Schmunzelnd breitet Richard die Arme aus. Ich lasse mich trösten, und er drückt mir einen Kuss auf den Kopf. »Natürlich nicht.«
Ich entspanne mich und fühle mich allmählich wieder geborgen. Schließlich trete ich zurück und schaue zu ihm auf. »Danke, dass du mitgekommen bist.«
»Ist das dein Ernst?«
Ich nicke und habe dabei einen Kloß im Hals. »Ich war mir nicht sicher, ob du nicht lieber allein fahren würdest«, fügt er hinzu.
»Nein«, erwidere ich wahrheitsgemäß. »Ich bin froh, dass du hier bist.«
Doch am nächsten Morgen steht etwas an, das ich allein tun muss.
Sobald das Licht unter den Rollläden hervorkriecht, schlüpfe ich aus dem Bett, lasse Richard vor sich hin dösen und gehe aus dem Hotel die Rundle Street entlang zur East Terrace. Ich biege nach links ab und komme schon bald durch die schmiedeeiserne Pforte des Botanischen Gartens. Meine Füße laufen wie von selbst, ich gehe den breiten, geraden Pfad entlang, der von frisch gemähten Rasenflächen gesäumt ist, und wende mich bei den hochaufragenden Palmen nach rechts. Der Weg macht eine Linkskurve, dann gehe ich unter schattenspendenden Bäumen hindurch und setze mich auf eine Bank. Es ist ruhig hier. Keine Menschenseele.
Das Schilf rings um den Teich ist so hoch, dass ich die großen grünen Lilienblätter von meinem Sitzplatz aus kaum sehen kann. Zu dieser Jahreszeit gibt es keine rosa Blüten, aber der Engel reitet noch immer in der Mitte auf dem Rücken des grauen Schwans. Eine Libelle schwebt über dem Schilf, ihre Flügel schimmern in der Sonne. Ich hatte ganz vergessen, wie schön es hier ist.
Schweigend bleibe ich sitzen, bis ich schließlich zur Besinnung komme und entdecke, dass unzählige schwarze Ameisen um meine Füße schwärmen. Ein Mann mit einem orangefarbenen Aufsitzmäher taucht am Rand des Teiches auf und macht der Ruhe und dem Frieden ein Ende. Höchste Zeit, nach vorn zu schauen.
Ja, es ist wirklich Zeit. Nach vorn zu schauen. In jeder Hinsicht. Ben ist seit zehn Jahren fort.
Warum wartest du noch auf ihn?
Ich denke an Richard, der am Morgen tief und fest schlief, sein braunes Haar auf einer Seite plattgedrückt, und ein überwältigendes Gefühl der Liebe zu ihm überkommt mich. Plötzlich will ich wieder ins Hotel und in seinen Armen liegen.
Zielstrebig entferne ich mich vom Teich und bemühe mich, mein Herz mitzunehmen, aber ein Teil davon bleibt zurück.
Kapitel 21
An einem Freitag Ende April kommen mein Dad, Lorraine und meine drei Halbschwestern für einen zweiwöchigen Urlaub nach Sydney. Als sie landen, ist es bewölkt und windig. Ich treffe sie nach Feierabend zu einem frühen
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