Immortal 3 - Schwarze Glut
eisernen Kronleuchtern an der Decke.
Sämtliche Schatten verschwanden, und Christine blinzelte in der plötzlichen Helligkeit. Alles kam ihr verstörend unwirklich vor, als sie hinter ihm in den Saal trat.
Mit offenem Mund starrte sie auf eine Statue von einem wunderschönen jungen Mann. Sie war aus schneeweißem Marmor und überragte Christine um einiges. Die rechte Hand des Mannes ruhte auf seinem kräftigen Schenkel, während die linke eine Steinschleuder hielt und auf seiner Schulter ruhte. Dichte Locken umkränzten seinen Kopf. Seine Züge waren ernst, die Augen klar. Der junge Körper, ein Inbegriff makelloser Pracht, war vollkommen nackt.
»Michelangelos David «, hauchte sie. »Das … das ist eine sehr schöne Reproduktion.«
»Ich besitze keine Reproduktionen.«
Erschrocken drehte sie sich zu Kalen um. »Aber das ist unmöglich! Der David wurde letztes Frühjahr von einem Wahnsinnigen mit einer Axt zerhackt.« Keine zwei Tage bevor sie in Florenz angekommen war. Die Zerstörung dieses Kronjuwels der Renaissance hatte die ganze Stadt in tiefe Trauer gestürzt. »Das kann nicht der echte David sein.«
»Ich versichere dir, er ist es.«
»Aber … ich habe die Zerstörung auf CNN gesehen, auf einem Überwachungsvideo. Die ganze Welt hat es gesehen!«
Kalen kniff die Lippen zusammen. »Ein paar Monate später wäre der David ganz sicher wirklich zerstört worden. Warst du in letzter Zeit einmal in Florenz? Die Stadt ist eine Jauchegrube. Zombies verrotten auf den Stufen der Uffizien, Vampire saugen ihre Opfer im Schatten des Doms aus. Aber nein, zum Glück war der David, dessen Zerstörung du im Fernsehen gesehen hast, nur eine Reproduktion. Das Original befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits hier. Ich hatte es mir am Tag vor dem Anschlag geholt.«
Sie streckte eine Hand aus, bemerkte, dass sie zitterte, und nahm sie wieder herunter. »Wie kann das sein?«
»Was denkst du? Geld. Das Museo dell’Accademia verkaufte seinen größten Schatz für fünfzig Millionen Euro.«
»Fünfzig Mill…, nein! Der David ist unbezahlbar. Für kein Geld der Welt würde das Museum ihn verkaufen.«
Er lachte bitter. »Denk nach, Kleines! Es gibt nichts, was Menschen nicht verkaufen würden, sofern der Preis stimmt. Die Museumsdirektoren überschlugen sich geradezu, um an mein Geld zu kommen.«
»Aber der Mann mit der Axt …«
»Ein angeheuerter Kleinganove, den sie bezahlten, damit er eine Kopie zerhackt. In der Öffentlichkeit wie auch in den Augen der Versicherung sah es besser aus, wenn das Stück zerstört statt verkauft wurde.«
»Oder gestohlen«, ergänzte Christine aufgebracht, »von einem Dieb mit einem Haufen Geld.«
»Fünfzig Millionen Euro sind wohl kaum Diebstahl.«
»O bitte!« Sie wurde immer wütender. »Versuch nicht, zu rechtfertigen, was du getan hast!«
Er stutzte. »Nein, das fiele mir nicht im Traum ein. Ich brauche mich keinem Menschen gegenüber zu rechtfertigen. Wenn deine Leute ihre größten Kunstwerke verkaufen wollen, dann mache ich ihnen mit Freuden ein entsprechendes Angebot. Sieh dich doch um, Kleines: David ist hier keineswegs allein.«
Er schwenkte den Arm zu einer Seite, und mit weit aufgerissenen Augen folgte Christine der Bewegung. Ein Stück entfernt von David stand eine Frauenstatue. Der Oberkörper war nackt, die Arme schon seit Jahrhunderten verlorengegangen. Ein bisschen weiter war eine kopflose Frauenfigur, auf deren Rücken sich elegante Flügel ausbreiteten.
»Die Venus di Milo auch?«, brachte Christine mühsam heraus. »Und die Nike von Samothrake? Aber … sie wurden beide bei einem Feuer im Louvre irreparabel beschädigt!«
»Nein. Sie sind hier.«
Christine stieß einen verzweifelten Laut aus und drehte sich langsam, ehe sie wie benommen die anderen Marmorstatuen betrachtete, die zu Kalens Sammlung gehörten. Das hier war wie die Illustration zu einem Gesamtverzeichnis der größten Meisterwerke – ein Einführungskurs in die Kunst der Klassik und der Renaissance, sozusagen.
Aus dem Griechenland der Antike: Der Diskuswerfer … Der Laokoon … eine Karyatide von der Akropolis. Aus römischen Zeiten: Der sterbende Gallier … Herkules und Diomedes … Der Torso des Herakles.
Das Mittelalter war nicht vertreten. Nirgends standen steife Heilige, die in unbelebter Pose eingefangen waren und tellerartige Heiligenscheine hatten. Nein, nach dem Untergang Roms übersprang die Kunstgeschichtsstunde tausend pietätvolle Jahre, um genau an dem Punkt
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