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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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Jahrhundert zu Ruhm und Ansehen führten. Andere gingen noch weiter und erzählten, der Fürst habe sieben Kardinäle umbringen lassen, denen seine Interessen missfallen hatten, und aus ihrer Haut und ihren Knochen habe er sich Stühle machen lassen.
    Nach Ansicht seines Großvaters war solches Gerede lediglich ein Hinweis auf die Beschränktheit des Verstandes sowie der Vorstellungskraft vieler und spiegelte letzten Endes nur den Neid derer wider, die Raimondo di Sangro verleumdeten. Schließlich hatte ihr Vorfahre der angesehenen Accademia della Crusca angehört, einem hochgeachteten Club der italienischen literarischen Elite. Er hatte neue Waffenarten erfunden, zum Beispiel eine Hinterlader-Schrotflinte, und revolutionäre Feuerwerkskörper. Er hatte wasserdichte Stoffe entwickelt und Techniken zum Färben von Marmor und Glas perfektioniert. Aber was noch viel wichtiger war: Er hatte ein Monument von unsterblicher Kraft erbaut, nämlich die Cappella San Severo, seine Privatkapelle im Herzen von Neapel.
    Der Hakim erinnerte sich an jenen schicksalhaften Besuch mit seinem Großvater. Tief unten in der Außenmauer der Kapelle, neben dem Eingang, lagen die vergitterten, an Gefängniszellen erinnernden Fenster dessen, was einst das Laboratorium des Fürsten gewesen war. Das Innere der kleinen Barockkirche war prachtvoll geschmückt mit einzigartigen Gemälden und Kunstwerken. Die Marmorstatuen – die berühmteste war Sammartinos Verschleierter Christus – waren faszinierend.
    Sein Großvater hatte ihn damals zu Queirolos Statue Desillusionierung geführt. Auch dies war ein Wunderwerk, das den Vater des Fürsten darstellte, der sich mit Hilfe eines geflügelten Jünglings aus den Verstrickungen eines Netzes befreien wollte. Der Großvater hatte ihm erklärt, die Statue stelle einen Mann dar, der sich aus den Fesseln falscher Überzeugungen zu lösen versuchte, mit Hilfe seines Verstandes.
    Der Keller barg noch weitere Wunder. Eine schmale Wendeltreppe führte hinunter in das Laboratorium des Fürsten, wo zwei Vitrinen die berüchtigten «anatomischen Maschinen» enthielten – das Skelett eines Mannes auf der einen Seite und das einer hochschwangeren Frau auf der anderen, und bei beiden waren Kreislaufgefäße und Organe des ganzen Körpers mittels einer heute unbekannten und immer noch verblüffenden Einbalsamierungstechnik makellos konserviert.
    Im Laufe der Jahre hatte der junge Ludovico von seinem Großvater immer mehr über das mysteriöse Leben seines Ahnen erfahren. Der Principe , sagte sein Großvater, war davon besessen gewesen, den Menschen zu vervollkommnen. Die Castrati waren vollkommene Sänger. Die anatomischen Maschinen waren Teil seines Strebens nach der Schaffung eines vollkommenen menschlichen Körpers. Auf dem Grabstein seines Vorfahren stand passenderweise: «Ein bewundernswerter Mann, dazu geboren, alles zu wagen.» Das Grab unter dem Stein war leer: Der Leichnam war gestohlen worden.
    Als Ludovico achtzehn wurde, hatte sein Großvater ihm Raimondo di Sangros Tagebücher übergeben und etwas, das ihm kostbarer war als alles andere: einen Talisman, ein Medaillon mit dem Bildnis einer Schlange, die ihren eigenen Schwanz fraß. Er trug es bis zum heutigen Tag.
    Er hatte gehört, dass di Sangros Besessenheit eine dramatische Wendung genommen hatte. Sein Großvater erzählte ihm schließlich, was diese Wendung herbeigeführt hatte. Diese Offenbarung inspirierte den jungen Ludovico weit über die kühnsten Träume – oder die schlimmsten Albträume – seines Großvaters hinaus.
    Dabei hatte es so vielversprechend angefangen. Ludovico war ein ausgezeichneter Schüler gewesen, hatte an der Universität von Padua studiert und mit summa cum laude in geriatrischer Medizin und Zellbiologie promoviert. Inzwischen ein herausragender Biogenetiker von seriösem Ruf, leitete er ein gutausgestattetes Labor an der Universität, wo er Stammzellenforschung betrieb und sich mit Hormonbahnen und Zellzusammenbrüchen befasste. Aber mit der Zeit wurden die Beschränkungen durch die konventionelle Wissenschaft spürbar; er wagte sich immer weiter hinaus und stellte die akzeptierten Grenzen der Bioethik in Frage. Seine Experimente wurden immer abenteuerlicher. Immer extremer.
    Es war eine Laune des Schicksals, dass sein Großvater etwa in dieser Zeit starb. Ludovicos Eltern hatten versucht, ihn zu einem guten Katholiken zu erziehen, und zu Hause wie auch in der Kirche hatte er gelernt, dass der Tod dem Menschen von Gott

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