Immortalis
dass sie etwas finden.»
«Was denn? Was könnten sie finden, das uns hilft?»
Darauf hatte er keine Antwort. Ein Kellner schwebte vorüber und füllte diskret die Schalen mit Karottensticks und Pistazien auf. Kirkwood wechselte unvermittelt das Thema. «Ich wusste nicht, dass Evelyn eine Tochter hat.»
«Ich bin auch nicht bei ihr aufgewachsen», sagte Mia. «Ich habe bei meiner Tante gewohnt. In Boston. Na ja, in der Nähe von Boston.»
«Und Ihr Vater?»
«Er starb vor meiner Geburt.»
Ein Schatten überflog sein Gesicht. «Das tut mir leid.»
Sie zuckte die Achseln. «Sie waren zusammen im Irak. In dieser Kammer. Einen Monat später ist er bei einem Autounfall ums Leben gekommen.» Sie sah Kirkwood an. Ihre Stimme hatte alle Munterkeit verloren. «Ein toller Glücksbringer, diese schwanzfressende Schlange, was?»
Kirkwood schwieg und nickte ernst.
«Ich meine, was zum Teufel denkt sich dieser Irre eigentlich?», platzte sie plötzlich wütend heraus. «Will er irgendeine biblische Plage zu neuem Leben erwecken, oder glaubt er im Ernst, er findet einen Zaubertrank, der ihm zum ewigen Leben verhilft? Wie kann man denn auch nur versuchen, mit einem solchen Menschen zu verhandeln?»
Kirkwood hob eine Braue. «Sie glauben, der Hakim sucht so etwas wie einen Jungbrunnen? Wie kommen Sie denn darauf? In seiner Akte steht jedenfalls nichts davon.»
Mia überging den Einwand, und es klang fast, als mache sie sich über sich selbst lustig, als sie Kirkwood von ihrem Gespräch mit Boustany über Elixiere erzählte.
Kirkwood nippte nachdenklich an seinem Cocktail. Er setzte das Glas ab und sah sie an. «Tja, Sie sind die Genetikerin. Sagen Sie es mir. Ist es wirklich so aberwitzig?»
«Ich bitte Sie», sagte Mia verächtlich.
Er teilte ihre Verachtung nicht. Er war sehr ernst.
«Sie wollen wirklich behaupten, dass so etwas möglich ist?», fragte sie.
«Ich sage nur, dass man noch vor wenigen Jahren Gesichtstransplantationen für unmöglich hielt. Heute macht man sie. Wenn man die medizinischen Fortschritte der letzten paar Jahre bedenkt … es ist atemberaubend. Und es geht immer weiter. Wir haben das menschliche Genom entschlüsselt. Wir haben ein Schaf geklont. Wir haben aus Stammzellen Herzmuskelgewebe gezüchtet. Ich weiß es nicht – vielleicht ist eben auch das möglich.»
«Natürlich nicht», sagte Mia wegwerfend.
«Ich habe einmal einen Dokumentarfilm gesehen. Ein russischer Wissenschaftler – ich glaube, er hieß Demichow – erforschte die Möglichkeit von Kopftransplantationen. Um zu beweisen, dass sie durchführbar waren, verpflanzte er Kopf und Oberkörper eines Welpen auf einen größeren Mastiff und schuf so einen Hund mit zwei Köpfen. Dieses Ding lief fröhlich herum und lebte sechs Tage.» Er zuckte die Achseln. «Und das ist nur einer der bekannten Fälle.»
Mia beugte sich vor. Ihre Augen funkelten vor innerer Überzeugung. «Bei Transplantationen geht es darum, Nerven und Blutgefäße zu verbinden – ja, und vielleicht sogar eines Tages das Rückenmark. Aber hier geht es um etwas anderes. Hier geht es darum, den natürlichen Verfall zu stoppen, dem unsere Zellen, unsere DNA, unser Gewebe und unsere Organe mit jedem Atemzug ausgesetzt sind. Es geht um Abnutzung und Verschleiß.»
«Aber darauf will ich ja hinaus. Nicht die Jahre sind das Problem, sondern die Laufleistung», sagte er nachdrücklich. «Sie sprechen von Zellen, die kaputtgehen und kollabieren, aber das ist etwas anderes, als zu behaupten, sie seien so programmiert, dass sie eine bestimmte Lebensdauer haben und dann sterben. Es ist wie mit einem neuen Paar Turnschuhe – Sie tragen sie, Sie laufen darin, die Sohlen verschleißen, und die Schuhe fallen auseinander. Ungetragen, nach ein paar Jahren im Karton, zerfallen sie nicht. Abnutzung und Verschleiß. Darum sterben wir, nicht wahr? Da tickt keine Uhr in unserem Körper, die sagt, die Zeit ist um. Wir sind nicht darauf programmiert, zu sterben, oder?»
Mia lehnte sich zurück. «So kann man es natürlich auch sehen.»
«Aber so argumentiert man doch heutzutage, nicht wahr?»
Vielleicht hatte er recht. Mia hatte sich nie mit dem Gedanken befasst, sich auf diesem Gebiet zu spezialisieren. Die Anti-Aging-Forschung war so etwas wie eine peinliche Tante, die man gern verschwieg. Die Biogerontologie – die Wissenschaft vom Altern – hatte es schon lange schwer. Eigentlich, nun ja, schon seit dem Jura.
Ihr Ansehen war nicht weit entfernt von dem der Quacksalberei
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