Immortalis
der Alchemisten und dem Hokuspokus der Schlangenöl-Verkäufer vergangener Zeiten. Ernsthafte Wissenschaftler, die der traditionellen Überzeugung anhingen, das Altern sei unvermeidlich, hüteten sich vor einem Weg, der im Scheitern enden musste, und noch mehr hüteten sie sich davor, sich lächerlich zu machen, indem sie versuchten, ihn zu erkunden. Selbst wenn man zwingende Argumente und Erfolge präsentierte, gab es ein großes, schier unüberwindliches Hindernis: die tiefverwurzelten religiösen Überzeugungen, dass Menschen alt wurden und starben. Das war der Lauf der Welt. So war Gottes Plan. Der Versuch, ihn zu überwinden, war sinnlos und unmoralisch. Der Tod war ein Segen, ob man das nun einsah oder nicht. Die Guten würden natürlich Unsterblichkeit erlangen – aber erst im Himmel. Und man sollte sich gar nicht erst einfallen lassen, darüber mit dem Bioethik-Rat des Präsidenten zu diskutieren. Die Verhinderung des Alterns war – mehr noch als Al-Qaida – eine Bedrohung der würdevollen Zukunft des Menschen durch das Böse.
Ende der Diskussion.
Dennoch hatte die Wissenschaft in einem breiteren Kontext bisher spektakuläre Erfolge bei der Verlängerung des menschlichen Lebens erzielt. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag lange irgendwo zwischen zwanzig und dreißig Jahren. Im neunzehnten Jahrhundert erreichte sie dank medizinischer Entwicklung vierzig Jahre, um 1900 waren es fünfzig, und in den entwickelten Ländern stand sie jetzt bei fast achtzig Jahren. Der frühe Mensch hatte eine Chance von eins zu zwanzig Millionen, ein Alter von hundert Jahren zu erreichen, und heute lag sie bei eins zu fünfzig.
Der entscheidende Unterschied jedoch war, dass diese Lebensverlängerung durch die Entwicklung von Antibiotika und Impfstoffen erreicht worden war, die nicht zur Verlängerung des Lebens gedacht waren, sondern zur Bekämpfung von Krankheiten – ein unbestreitbar edles Motiv. Das war ein wesentliches Detail. Und erst vor kurzem hatte sich in der Einstellung der medizinischen Forschung zum Altern ein Paradigmenwechsel vollzogen: Man betrachtete das Altern nicht mehr als unausweichlich und vorherbestimmt, sondern als etwas sehr viel weniger Drakonisches.
Als Krankheit.
Und Krankheiten konnte man heilen.
Die Schlüsselerkenntnis, die zu diesem neuen Ansatz führte, war die trügerisch einfache Antwort auf die fundamentale Frage: Warum altern wir? Die Antwort war, einfach ausgedrückt: Wir altern, weil in der Natur sonst nichts altert.
Genauer gesagt, fast nichts.
Jahrtausendelang – praktisch während der gesamten menschlichen Evolution – erreichten Menschen und Tiere in der Wildnis, weit entfernt von den Verhätschelungen und den Fortschritten der zivilisierten Welt, kaum jemals ein hohes Alter. Sie wurden dahingerafft von Raubtieren, Krankheiten, Hunger und einer ungünstigen Witterung. Sie hatten keine Chance, alt zu werden.
Und die Natur hatte immer nur ein einziges Interesse – nämlich, dafür zu sorgen, dass ihre Organismen sich fortpflanzten und die Art erhielten. Sonst nichts.
Darüber hinaus waren wir überflüssig – Menschen wie Tiere. All die Zellen, aus denen wir bestanden, hatten keinen Grund, uns darüber hinaus am Leben zu erhalten.
Und da es keine Chance gab, weit über das fortpflanzungsfähige Alter hinaus zu überleben, konzentrierte die Natur ihre Bemühungen – zu Recht – darauf, die Chancen zu vergrößern, dass wir dieses Alter erreichen und uns fortpflanzen. Nur darauf richtete sich die natürliche Selektion und erwählte eine kurze Zeitspanne für die Fortpflanzungsfähigkeit, denn das war effizienter: Der Abstand zwischen den Generationen war kürzer, und die Gene konnten sich schneller mischen, sodass die Anpassung an eine bedrohliche Umwelt besser vonstattenging. Das alles deutete darauf hin, dass der Prozess des Alterns, der sich in der Natur niemals manifestierte, sich nicht genetisch entwickelt haben konnte.
Die Natur hatte uns fortentwickelt, aber sie wusste nicht, was Altern war.
Mit anderen Worten: Das Altern war uns nicht genetisch einprogrammiert.
Dies führte zu einer radikal neuen Sicht.
Wenn wir nicht dazu programmiert waren, zu sterben, wenn wir nur durch Abnutzung und Verschleiß zugrunde gingen – so argumentierte man inzwischen –, dann waren wir vielleicht, nur vielleicht, zu reparieren.
49
Der stechende Dunst von Riechsalz attackierte Corbens Sinne und riss ihn zurück ins Leben.
Sofort spürte er den scharfen Schmerz, der in
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