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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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Körper; sie zogen winzige Mengen von Flüssigkeit heraus und saugten ihm langsam das Leben aus dem Leib.

3
    Es war schon nach sechs Uhr abends, als Evelyn wieder in ihrer Wohnung im zweiten Stock in der Rue Commodore angekommen war.
    Sie war erschöpft nach diesem langen Tag, der in vieler Hinsicht seine Spuren hinterlassen hatte. Nachdem Faruk verschwunden war, hatte Rames – der, wie Evelyn fand, bemerkenswerte Zurückhaltung gezeigt und sich nicht nach ihm erkundigt oder auch nur versucht hatte, das Gespräch auf ihn zu bringen – eine persönliche Unterredung mit dem Bürgermeister von Sabqine arrangieren können, der natürlich dringendere Probleme hatte, als über die Ausgrabung eines möglicherweise frühchristlichen Heiligtums zu sprechen. Aber Evelyn und ihr junger Protegé hatten ihn becircen können, und einem weiteren Erkundungsbesuch stand nichts mehr im Wege.
    Eine ziemliche Leistung, wenn man bedachte, dass sie während des gesamten Gesprächs mit ihren Gedanken ganz woanders gewesen war.
    Als Faruk ihr den zerknitterten Umschlag mit den Polaroids gezeigt hatte, waren Erinnerungen in ihr erwacht, die ihre Gedanken bald vollständig beherrschten. Zu Hause angekommen, hatte sie ausgiebig und heiß geduscht. Jetzt saß sie an ihrem Schreibtisch und starrte auf einen dicken Ordner, der sie in den vergangenen dreißig Jahren bei jedem Umzug begleitet hatte. Schweren Herzens löste sie die Verschnürung und fing an zu blättern. Die alten Fotos und die verblichenen, vergilbten Notizblätter und Fotokopien brachten Licht in einen Winkel ihrer Seele, der lange Zeit im Dunkeln gelegen hatte. Die Seiten flatterten an ihr vorüber, eine nach der andern, und beschworen ein Gewirr von Gefühlen herauf, die sie überschwemmten und an einen Ort und in eine Zeit zurücktrugen, die sie nie hatte vergessen können.
    Al-Hillah, Irak. Herbst 1977.
    Sie war seit etwas mehr als sieben Jahren im Nahen Osten und hatte die meiste Zeit an Grabungsstätten in Petra, Jordanien, und in Oberägypten verbracht. Sie hatte dort viel gelernt – und sich in die Region verliebt –, aber es waren nicht ihre Ausgrabungen gewesen. Nicht lange, und sie sehnte sich danach, sich auf etwas zu stürzen, das sie ihr Eigen nennen konnte. Nach ausgiebigen Recherchen und hartnäckiger Lobbyarbeit zur Finanzierung hatte sie schließlich ihr Ziel erreicht. Die Ausgrabung, die sie sich vorgenommen hatte, betraf eine Stadt, die sie schon immer fasziniert hatte und die in letzter Zeit dennoch von der Archäologie vernachlässigt worden war: Babylon.
    Die Geschichte der sagenumwobenen Stadt reichte mehr als viertausend Jahre zurück, aber da die Häuser nicht aus Stein, sondern aus sonnengetrockneten Lehmziegeln erbaut gewesen waren, hatte kaum etwas dem Zahn der Zeit widerstanden. Die wenigen Überbleibsel waren schließlich von den diversen Kolonialmächten weggeschafft worden, die während des letzten halben Jahrhunderts über diese Gegend geherrscht hatten. Mutter Natur, Osmanen, Franzosen und Deutsche hatten sich wie Geier über die uralte Wiege der Zivilisation hergemacht. Die Stadt hatte keine Chance gehabt zu überleben.
    Evelyn hatte gehofft, dieses Unrecht wiedergutmachen zu können, und sei es auch nur im Kleinen.
    Die Ausgrabungen hatten begonnen. Die Arbeitsbedingungen waren nicht zu hart, und an Hitze und Insekten hatte sie sich inzwischen gewöhnt. Die Hilfsbereitschaft der Behörden hatte sie überrascht. Fünf Jahre zuvor hatten die Baathisten die Herrschaft im Land übernommen, und sie hatte sie als pragmatische und höfliche Leute kennengelernt. Als sie dort ankam, hatten ganz in der Nähe die Dreharbeiten zum Film Der Exorzist stattgefunden. Saddams blutige Machtübernahme hatte noch ein paar Jahre in der Zukunft gelegen. Die Ausgrabungsstätte selbst befand sich in einer ärmlichen Gegend, aber die Leute waren offen und gastfreundlich. Die Autofahrt nach Bagdad dauerte nur zwei Stunden, und so waren gutes Essen, ein ordentliches Bad und die manchmal sauer entbehrte gesellschaftliche Zerstreuung in erreichbarer Nähe.
    Der Fund an sich hatte sich durch einen Zufall ergeben. Ein einheimischer Ziegenhirte, der nach Wasser gegraben hatte, war in einer unterirdischen Kammer in der Nähe einer alten Moschee in Al-Hillah auf eine kleine Sammlung von Keilschrifttafeln, einer der ältesten Schriftformen, gestoßen. Evelyn hatte in der Nähe zu tun und war deshalb als Erste an Ort und Stelle gewesen. Sie hatte entschieden, dass das

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