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Immortalis

Immortalis

Titel: Immortalis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Raymond Khoury
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beide Richtungen geschmuggelt hatten. Die beiden Sprachen waren einander in groben Zügen ähnlich, aber trotzdem waren die Unterschiede groß genug, um Ungenauigkeiten und Missverständnisse zu produzieren.
    Und das durfte nicht sein.
    Er hielt sich etwas auf seine Präzision zugute. Ungenauigkeit tolerierte er nicht, Unzuverlässigkeit machte ihn rasch ungeduldig. Und schon an Omars betretenem Tonfall – vom ersten Augenblick an, als er durch den Anruf gestört worden war – erkannte er, dass seine Geduld auf eine harte Probe gestellt werden würde.
    Erst nach kurzem Zögern ertönte die kurze Antwort aus dem Handy. «Nein.»
    «Was soll das heißen, nein?», schnarrte der Hakim und ließ wütend die OP-Handschuhe von den Fingern schnappen. «Warum nicht? Wo ist er?»
    Omar war nicht leicht einzuschüchtern, aber jetzt lag wahrhaft Unterwürfigkeit in seinem Tonfall. «Er war sehr vorsichtig, mu’allimna .»
    Auf beiden Seiten der Grenze nannten die Männer, die ihm unterstellt waren, ihn so. Unser Lehrer . Die respektvoll demütige Anrede eines bescheidenen Dieners. Nicht, dass er sie viel lehrte – gerade genug, damit sie taten, was man ihnen sagte, und das, ohne Fragen zu stellen. Eigentlich war es mehr Dressur als Lehre, und der Hauptantrieb war Angst.
    «Wir hatten keine richtige Gelegenheit», fuhr Omar fort. «Wir sind ihm zur American University gefolgt. Er hat die archäologische Abteilung besucht. Wir haben vor dem Gebäude auf ihn gewartet, aber er muss einen anderen Ausgang benutzt haben. Einer meiner Männer hat das Sicherheitstor beobachtet und gerade noch gesehen, wie er sich hinausschlich und ein Taxi nahm.»
    Der Hakim runzelte die Stirn. «Dann weiß er also, dass er verfolgt wird», sagte er schroff.
    «Ja», bestätigte Omar widerwillig und fügte dann hinzu: «Aber das ist kein Problem. Bis morgen Abend haben wir ihn.»
    «Das hoffe ich», erwiderte der Hakim scharf. «Um Ihretwillen.» Er bemühte sich, seine Wut im Zaum zu halten. Noch hatte Omar nicht versagt. Der Mann wusste, was auf dem Spiel stand, und er war rücksichtslos gut in seinem Job. Er war dem Hakim mit dem ausdrücklichen Befehl zugeteilt worden, sich um ihn zu kümmern und dafür zu sorgen, dass er alles bekam, was er brauchte. Und Omar wusste, dass Nachlässigkeit in diesem Dienst nicht toleriert wurde. Das beruhigte den Hakim ein wenig. «Wo ist er jetzt?»
    «Wir sind ihm nach Sabqine gefolgt. Das ist eine Kleinstadt an der Grenze im Norden. Er hat sich dort mit jemandem getroffen.»
    Der Hakim horchte auf. «Mit wem?»
    «Mit einer Frau. Einer Amerikanerin. Sie heißt Evelyn Bishop und ist Professorin für Archäologie an der Universität. Eine ältere Frau; sie muss schon über sechzig sein. Er hat ihr irgendwelche Dokumente gezeigt. Wir konnten nicht nah genug herankommen, um zu sehen, worum es sich handelte, aber es müssen Bilder der Sammlung gewesen sein.»
    Interessant, sinnierte der Hakim. Der irakische Händler ist kaum ein paar Stunden in der Stadt – und als Allererstes läuft er geradewegs zu einer Frau, die zufällig Archäologin ist? Er speicherte diese Information für eine spätere Analyse. «Und …?»
    Wieder entstand eine Pause, und dann wurde Omars Stimme leiser. «Wir haben ihn verloren. Er hat uns gesehen und ist abgehauen. Wir haben ihn in der ganzen Stadt gesucht, aber er ist verschwunden. Die Frau behalten wir im Auge. Ich stehe jetzt vor ihrer Wohnung. Sie wurden gestört; sie haben ihre Geschäfte noch nicht abgewickelt.»
    «Das heißt, sie wird euch zu ihm führen.» Der Hakim nickte still. Er hob die Hand, rieb sich über das Gesicht und massierte seine gefurchte Stirn. Ein Fehlschlag war jetzt auf keinen Fall akzeptabel. Er hatte zu lange gewartet. «Bleiben Sie ihr auf den Fersen», befahl er eisig, «und wenn sie sich wiedertreffen, bringen Sie sie beide zu mir. Ich will die Frau auch. Verstanden?»
«Ja, mu’allimna .» Die Antwort kam sofort. Ohne Zögern.
Genau so hatte der Hakim es gern.
    Er trennte die Verbindung und ließ sich das Gespräch noch einmal kurz durch den Kopf gehen, dann steckte er das Telefon ein und machte sich wieder an seine Arbeit.
    Er wusch sich die Hände, zog sich ein frisches Paar OP-Handschuhe an und ging dann hinüber zu dem Bett, auf dem der Junge lag, festgeschnallt und am Rande des Bewusstseins, mit schmalen, gläsernen Augen, weißen Halbmonden, die unter schweren Lidern hervorschimmerten. Schläuche wuchsen an verschiedenen Stellen aus seinem

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