Immortalis
gegangen war, hatte er die Morgenzeitung gelesen; den Artikel über die Entführung der Frau in der Stadt hatte er überflogen, aber er hatte keine Ahnung gehabt, dass es sich um Evelyn handelte. Bis die Polizei in Post Hall aufgetaucht war.
Er war der Erste im Department gewesen, den sie aufgesucht hatten, und die Nachricht hatte ihm den Atem verschlagen. Mit jedem Wort, das er sprach, hatte er das Gefühl gehabt, tiefer in dem Sumpf von Schwierigkeiten zu versinken, dem er entgehen wollte, aber er wusste gleichzeitig, dass er keine Wahl hatte. Sie wollten Evelyn finden, und er musste ihnen helfen. Es gab keinen anderen Weg.
Sie hatten ihn gefragt, ob er etwas über ihr Interesse an irakischen Antiquitäten wisse, und sofort war ihm der Mann eingefallen, der in Sabqine aufgetaucht war. Als er ihn erwähnte, waren sie alarmiert gewesen, und er hatte ihnen seinen Namen nennen – Faruk, seinen Vornamen, denn den vollen Namen kannte er nicht – und den Mann beschreiben müssen. Ihren zurückhaltenden Kommentaren hatte er entnommen, dass seine Beschreibung auf einen Mann passte, der mit Evelyn gesehen worden war, als sie entführt wurde.
Die Begegnung mit der Kriminalpolizei war schon unangenehm genug gewesen. Als er aber ein paar Stunden später Faruk gesehen hatte, der vor Post Hall hinter ein paar geparkten Autos hervor- und auf ihn zukam, war er vor Schreck fast in Ohnmacht gefallen. Zuerst hatte er Angst gehabt, sich gefragt, ob Faruk mit den Kidnappern zusammenarbeitete und auch ihn entführen wollte. Er war ängstlich zurückgewichen, aber das beschwörende, kummervolle Auftreten des Irakers hatte ihn rasch davon überzeugt, dass der Mann keine Bedrohung darstellte.
Jetzt, hier in seinem dunklen Wohnzimmer, ließ er sich das beunruhigende Gespräch noch einmal durch den Kopf gehen. Jedes Wort klang mit beängstigender Klarheit in Rames’ Ohren nach. Sie hatten sich ein ruhiges Plätzchen hinter dem Gebäude gesucht, um miteinander zu reden. Faruk hatte erklärt, er müsse der Polizei sagen, was er über die Entführung wisse, um Evelyn zu helfen. Doch er könne nicht selbst hingehen; er sei illegal im Lande, und aus der Zeitung wisse er, dass die gestohlenen Antiquitäten schon jetzt große Aufmerksamkeit erregten. Rames erzählte ihm, dass die Polizei bereits bei ihm gewesen sei und er ihnen Faruk beschrieben habe – in der Hoffnung, dass er ihnen damit helfen könne, Evelyn zu finden.
Bei dieser Neuigkeit geriet Faruk in Panik. Sie hatten seinen Namen und seine Personenbeschreibung, und es sah immer mehr danach aus, als seien sie wegen Antiquitätenschmuggels hinter ihm her. Der gehetzte Blick eines in die Enge getriebenen Tieres trat in seine Augen, und er flehte Rames an, ihm zu helfen. Er brauche dringend Geld, daher versuche er, die wertvollen Stücke zu verkaufen. Anfangs hatte er gehofft, Rames werde ihm dabei helfen, aber darauf kam es nicht mehr an. Jetzt ging es um das nackte Überleben. Er berichtete Rames, was er wusste, was er gesehen hatte – die Männer, die ihn im Irak gejagt hatten, das Buch, die Spuren des Bohrers an der Leiche seines Freundes Hadsch Ali Sallum –, und jede neue Information ließ dem jungen Archäologen das Blut in den Adern gefrieren.
Faruk bat Rames, als Vermittler tätig zu werden. Rames sollte zur Polizei gehen und ihr in Faruks Namen einen Handel vorschlagen: Faruk werde ihnen helfen, Evelyn zu finden, aber er wolle nicht in einem libanesischen Gefängnis landen und auch nicht in den Irak zurückgeschickt werden. Mehr noch: Er verlangte ihren Schutz. Er wusste, dass die Männer, die Evelyn entführt hatten, es in Wirklichkeit auf ihn abgesehen hatten, und er wusste, dass er allein nicht mehr lange am Leben bleiben würde.
Rames wehrte ab; er wollte nichts mit der ganzen Sache zu tun haben, aber Faruk flehte ihn an, an Evelyn zu denken, es um ihretwillen zu tun. Schließlich hatte Rames versprochen, er werde es sich überlegen. Er hatte Faruk seine Handynummer gegeben und gesagt, er solle ihn am Mittag des nächsten Tages anrufen.
Also morgen Mittag.
Nicht um zweiundzwanzig Uhr.
Nicht heute Abend.
Er starrte unverwandt auf das Handy, und sein müder Kopf bemühte sich zu ergründen, wer versucht haben könnte, ihn zu erreichen. Wenn es Faruk war – mit ihm wollte er jetzt nicht sprechen. Er hatte sich immer noch nicht entschieden, ob er ihm helfen würde. Einerseits war er es Evelyn schuldig, und außerdem war es seine Pflicht; er durfte der Polizei solche
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