Imperator 01 - Die Tore von Rom
folgte Marcus dem ehemaligen Gladiator auf dem Pfad, der sich meilenweit durch einen Wald schlängelte. Er fragte nicht, wohin der Weg führte, lockerte aber sein Schwert in der Scheide, für den Fall, dass sich im Laubwerk Banditen verbargen. Obwohl ein Schwert nicht viel gegen einen Bogen auszurichten vermochte, fiel ihm ein.
Die Sonne war dort, wo man sie durch das Blätterdach überhaupt sehen konnte, nicht mehr weit vom Horizont entfernt, als sie endlich ein kleines Dorf erreichten. Es bestand aus nicht mehr als zwanzig Häusern, machte jedoch einen gepflegten Eindruck. Neben den meisten Wohnhäusern sah man Hühner in Hühnerställen und angepflockte Ziegen. Marcus spürte keine Gefahr. Renius stieg vom Pferd.
»Kommst du mit rein?«, fragte er und ging auf eine Tür zu.
Marcus nickte und band die beiden Pferde an einem Pfahl fest. Als er damit fertig war, war Renius bereits hineingegangen, und mit gerunzelter Stirn legte Marius eine Hand auf den Dolch, als er eintrat. Drinnen war es ziemlich dunkel, nur eine Kerze und ein Feuer in der Feuerstelle spendeten Licht, doch er konnte sehen, wie Renius einen uralten Mann mit seinem guten Arm umarmte.
»Das ist mein Bruder Primus. Primus, das ist der Junge, von dem ich erzählt habe. Der mit mir nach Griechenland reist.«
Der Mann musste achtzig Jahre zählen, aber sein Händedruck war fest.
»Mein Bruder hat mir von den Fortschritten geschrieben, die du und der andere, Gaius, gemacht haben. Er mag niemanden, aber ich glaube, gegen euch beide hat er eine geringere Abneigung als gegen die meisten anderen Menschen.«
Marcus brummte etwas.
»Setz dich, Junge. Wir haben eine lange Nacht vor uns.« Er ging hinüber zu dem kleinen Holzfeuer und schob einen langen eisernen Schürhaken mitten in die Glut.
»Was ist denn los?«, fragte Marcus.
Renius seufzte. »Mein Bruder war früher Feldscher. Er wird mir den Arm abnehmen.«
Marcus spürte, wie ihn ein würgendes Grauen überfiel, als ihm klar wurde, was er zu sehen bekommen würde. Schuldgefühle meldeten sich und ließen ihn erröten. Er hoffte, Renius würde nicht erzählen, wie er verletzt worden war. Um seine Verlegenheit zu überspielen, sagte er: »Das hätten doch bestimmt auch Lucius oder Cabera machen können.«
Renius brachte ihn mit erhobener Hand zum Schweigen.
»Viele hätten es tun können, aber Primus war … ist der Beste.«
Primus lachte gackernd und öffnete dabei einen Mund, in dem sich nur noch wenige Zähne befanden.
»Mein Bruder hat die Leute in Stücke gehauen, und ich musste sie wieder zusammenflicken«, sagte er fröhlich. »Dafür brauchen wir mehr Licht.« Er drehte sich zu einer Öllampe um und zündete sie mit einer Kerze an. Als er sich wieder umdrehte, musterte er Renius mit zusammengekniffenen Augen.
»Ich weiß, meine Augen sind nicht mehr so gut wie früher, aber hast du dir die Haare gefärbt?«
Renius lief rot an. »Ich will von dir eigentlich nichts über deine schlechten Augen hören, ehe du an mir herumschneidest, Primus. Ich habe mich nur gut gehalten, das ist alles.«
»Verdammt gut«, pflichtete Primus bei.
Er leerte einen Lederbeutel mit Werkzeugen auf einer Tischplatte aus und wies seinen Bruder an, sich hinzusetzen. Als Marcus die Sägen und Nadeln erblickte, wünschte er sich, er hätte den Rat befolgt und wäre zum Hafen vorausgeritten, doch jetzt war es zu spät. Renius setzte sich. Schweiß tropfte ihm von der Stirn. Primus reichte ihm eine Flasche mit einer braunen Flüssigkeit. Er setzte sie an und trank mit großen Schlucken.
»Du, Junge, hol die Seile da drüben und binde ihn an den Stuhl. Ich will nicht, dass er um sich schlägt und meine Möbel kaputtmacht.«
Mit einem Gefühl aufsteigender Übelkeit griff Marcus nach den Seilen, wobei er mit Entsetzen die alten Blutflecken auf ihnen bemerkte. Er beschäftigte sich mit den Knoten und versuchte, nicht weiter darüber nachzudenken.
Nach ein paar Minuten konnte Renius sich nicht mehr rühren, und Primus goss ihm den Rest der braunen Flüssigkeit in die Kehle.
»Mehr habe ich nicht, fürchte ich. Es wird den schlimmsten Schmerz betäuben, aber nicht sehr.«
»Jetzt mach schon«, knurrte Renius durch zusammengebissene Zähne.
Primus hielt ihm ein dickes Stück Leder vor den Mund und befahl ihm, hineinzubeißen.
»Damit retten wir dir wenigstens die Zähne.«
An Marcus gewandt sagte er: »Du hältst den Arm still. Dann geht es schneller mit dem Sägen.« Er legte Marcus’ Hand auf den drahtigen
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