Imperator 01 - Die Tore von Rom
war dazu ausgebildet worden, nicht auf Ablenkungen zu reagieren. Niemand würde ihm diesen letzten tödlichen Schlag nehmen. Er spannte die Schultermuskeln, um die eiserne Klinge in seinem Gegner zu versenken. »Dieser Bogen wird dich töten, Junge. Weg mit dem Schwert.«
Renius blickte in Marcus’ Augen und sah einen Moment lang schieren Wahnsinn darin aufleuchten. Er zweifelte nicht daran, dass der Junge ihn töten würde. Dann war das Aufflackern plötzlich verschwunden, und Marcus hatte sich wieder unter Kontrolle.
Obwohl sein eigenes Blut warm an seinen Gliedern herabrann, kam Renius der Hof kalt vor. Er sah, wie Marcus sich langsam rückwärts aus seiner Reichweite entfernte und sich dann dem Neuankömmling zuwandte. Nur selten zuvor war Renius sich so sicher gewesen, dass sein Tod unmittelbar bevorstand.
Dort blitzte die Pfeilspitze eines Bogens. Ein alter Mann, älter noch als Renius, hielt den Bogen trotz der offensichtlich starken Spannung ohne jedes Muskelzittern fest in den Händen. Er trug eine einfache braune Robe, und ein Lächeln zog einen fast zahnlosen Mund auseinander.
»Hier stirbt heute keiner. Das wüsste ich. Leg die Waffe weg, damit ich nach den Ärzten rufen und kühle Getränke für euch herbeischaffen lassen kann.«
Mit einem Schlag hatte die Wirklichkeit Marcus wieder eingeholt. Als er zu einer Antwort ansetzte, fiel ihm der Gladius aus der Hand.
»Mein Freund Gaius ist verletzt. Er stirbt vielleicht, er braucht Hilfe.«
Renius konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten und fiel auf die Knie. Das Schwert entglitt seinen gefühllosen Fingern, und der rote Fleck um ihn herum wurde größer, während ihm der Kopf auf die Brust sank. Ohne ihn auch nur eines Blickes zu würdigen, schritt Marcus an ihm vorbei zu Gaius.
»Ich sehe, dass sein Blinddarm verletzt worden ist«, sagte der alte Mann über die Schulter hinweg zu ihm.
»Dann ist er so gut wie tot. Wenn der Blinddarm anschwillt, ist das immer tödlich. Unsere Ärzte können das geschwollene Ding nicht entfernen.«
»Mir ist das schon mehr als einmal geglückt. Hol die Haussklaven, sie sollen den Jungen ins Haus tragen. Und bring mir Verbandszeug und heißes Wasser.«
»Bist du ein Heilkundiger?«, fragte Marcus den alten Mann und suchte in seinen Augen nach einem Funken Hoffnung.
»Auf meinen Reisen habe ich das eine oder andere aufgeschnappt. Noch ist nicht alles verloren.« Ihre Blicke trafen sich.
Marcus schaute zur Seite und nickte gedankenverloren. Er vertraute dem Fremden, auch wenn er nicht hätte sagen können, warum.
Renius fiel auf den Rücken, seine Brust hob sich kaum noch. Jetzt sah er aus wie das, was er war: Ein morscher, alter, brauner Baumstamm von einem Mann, der in der römischen Sonne hart, aber auch spröde geworden war. Als Marcus’ Blick auf ihn fiel, versuchte er, vor Schwäche zitternd, noch einmal aufzustehen.
Eine Hand legte sich mit sanftem Druck auf Marcus’ Schulter und besänftigte die wieder in ihm aufsteigende Wut. Tubruk stand neben ihm, das Gesicht dunkel vor Zorn. Marcus spürte das leise Zittern in der Hand des ehemaligen Gladiators.
»Ruhig, mein Junge. Der Kampf ist vorbei. Ich habe nach Lucius und dem Arzt von Gaius’ Mutter geschickt.«
»Hast du alles mit angesehen?«, stammelte Marcus.
Tubruk verstärkte den Druck seiner Hand.
»Nur das Ende. Ich habe gehofft, dass du ihn tötest«, sagte er grimmig und sah dabei zu Renius hinüber, der blutend am Boden lag. Dann drehte sich Tubruk zu dem Neuankömmling um.
»Wer bist du, alter Mann? Ein Wilderer? Das hier ist ein privates Anwesen.«
Der alte Mann stand ruhig da und hielt Tubruks Blick stand. »Nur ein Reisender, ein Wanderer«, antwortete er.
»Wird er sterben?«, warf Marcus ängstlich ein.
»Das schon. Aber heute wohl noch nicht«, erwiderte der alte Mann. »Das wäre nicht recht, jetzt, wo ich da bin. Oder bin ich jetzt kein Gast des Hauses?«
Marcus blinzelte verwirrt und versuchte, den vernünftigen Klang dieser Worte gegen den Schmerz und die Wut abzuwägen, die immer noch in seinem Inneren tobten.
»Ich weiß noch nicht einmal, wie du heißt«, sagte er schließlich.
»Ich bin Cabera«, antwortete der alte Mann leise. »Und jetzt gib Frieden. Ich werde euch helfen.«
7
Aufgebrachte Stimmen holten Gaius wieder ins Bewusstsein zurück. In seinem Kopf hämmerte es, und er fühlte sich vollkommen kraftlos. Immer wieder breiteten sich Schmerzen wellenartig von seinem Unterleib aus, die von allen Pulsen
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