Imperium
Landschaft, irgendein Feiertag ist heute, die durchschnellten Landbahnhöfe sind sämtlich mit schwarzweißroten Wimpeln fidel beflaggt, dazwischen hängt das weniger martialische, helle Blau seiner Heimat. Engelhardt ist kein politisch interessierter Mensch, die großen Umwälzungen, die das Deutsche Reich in diesen Monaten durchmißt, lassen ihn völlig kalt. Zu weit entfernt schon hat er sich von der Gesellschaft und ihren kapriziösen Launen und politischen Moden. Nicht er ist der Weltfremde, sondern die Welt ist ihm fremd geworden.
Im vormittäglichen München angekommen, besucht er in Schwabing seinen Genossen Gustaf Nagel, langhaarig wandeln sie, in Leinentücher gewickelt, unter dem lauten Spott der Bürger über den spätsommerlichen Odeonsplatz. Ein besäbelter Gendarm überlegt kurz, ob er sie festnehmen soll, entscheidet sich dann aber rasch dagegen, er will sein Glas Feierabendbier nicht durch zusätzliche Schreibarbeit schal werden lassen.
Die Feldherrnhalle, jene florentinische Parodie dort drüben, kaum eines Blickes gewürdigt, steht mahnend, ja beinahe lauernd im spektralen Münchner Sommerlicht. Nur ein paar kurze Jährchen noch, dann wird endlich auch ihre Zeit gekommen sein, eine tragende Rolle im großen Finsternistheater zu spielen. Mit dem indischen Sonnenkreuze eindrücklich beflaggt, wird alsdann ein kleiner Vegetarier, eine absurde schwarze Zahnbürste unter der Nase, die drei, vier Stufen zur Bühne … ach, warten wir doch einfach ab, bis sie in äolischem Moll düster anhebt, die Todessymphonie der Deutschen. Komödiantisch wäre es wohl anzusehen, wenn da nicht unvorstellbare Grausamkeit folgen würde: Gebeine, Excreta, Rauch.
Nichtsahnend sonnen sich Nagel und Engelhardt Beine und Schenkel, die Gewänder hochgerafft, eine Weile von müden Bienen umsummt, im Englischen Garten, hernach fahren sie gemeinsam nach Murnau hinaus, südlich der Tore Münchens gelegen, und suchen dort, es wird Abend, einen befreundeten Landwirt auf, der es sich in den vierschrötigen Kopf gesetzt hat, den ganzen lieben Sommer lang die bäuerlichen Arbeiten nackend zu verrichten. Mahagonibraun steht er vor ihnen am Gatter, hutlos, vor Muskelkraft strotzend, schon reicht er den beiden schmächtigen Studierten zum Gruß die kräftige Pranke. Obgleich bereits September, zieht man sich die Gewänder aus, nimmt Platz am einfachen Holztisch vor dem Hof, die brave Ehefrau des Bauern bringt ihrem Mann Brot, Fett und Schinken und den beiden Besuchern Apfel und Trauben, beim Aufdecken pendeln ihre nackten Brüste wie schwere Kürbisse über dem Tisch. Eine Magd, ebenfalls nackt, tritt auf Einladung des Bauern hinzu. Unser Freund legt ein paar Pamphlete hin, man erfreut sich an der Gemeinsamkeit der Sonnenfreunde, ißt von den Früchten, im Baum über ihnen singt fröhlich ein Pirol.
Sogleich spricht Engelhardt von der Kokosnuß, die freilich weder der Landmann, seine Frau noch die Magd jemals gekostet oder gesehen haben. Er kündet von der Idee, den Erdenball mit Kokos-Kolonien zu umringen, spricht, sich von seinem Sitz erhebend (denn seine fast pathologische Schüchternheit verfliegt, wenn er als Rhetor vor offenen Ohren seine Sache vertritt), von der heiligen Pflicht, dereinst im Palmentempel nackend der Sonne zu huldigen. Nur hier - und er weist mit ausgestreckten Armen um sich - ginge es leider nicht, zu lang der menschenfeindliche Winter, zu eng die Stirnen der Philister, zu laut die Maschinen der Fabriken. Engelhardt steigt von der Bank auf den Tisch und wieder herab, sein Credo hinausrufend, daß lediglich die Länder unter ewiger Sonne überleben werden und dort nur diejenigen Menschen, die die heilsamen und segensreichen Strahlen des Zentralgestirns vom Bekleidungsstoff ungehindert über Haut und Haupt streicheln lassen. Einen guten Anfang hätten die Brüder und Schwestern gemacht, aber sie müßten doch bitte ihren Hof verkaufen und ihm nachfolgen, aus dem Bayernland wie weiland Moses aus Ägypten, und Schiffspassagen buchen zum Äquator hin.
Ob es denn Mexiko oder gar Afrika sein soll, will Nagel wissen, während das Bauernpaar sich andächtig lauschend weitere Brote schmiert. Engelhardt ist, bemerkt Nagel, besessen von seinen Ideen; sie sind wie ein kleiner, mit spitzer Zahnreihe reißender Dämon, der von ihm Besitz ergriffen hat. Er fragt sich kurz, ob Engelhardt wohl noch ganz bei Trost ist. Mexiko - nein, nein, die Südsee muß es sein, nur dort kann, nur dort wird ein Anfang gemacht werden. Hoch in
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