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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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eine Abordnung von Bürgerrechtlern hat den weiten Weg aus Danzig nicht gescheut, unter ihnen befindet sich ein am Leipziger Reichsgericht zugelassener Advokat, der, sich zur Arrestzelle Zugang verschaffend, lediglich einen kurzen Blick auf Engelhardt und seine Blessuren wirft und sofort den Memeler Schutzmännern eine mit erboster Donnerstimme vorgetragene Philippika um die Ohren dröhnt: Sie könnten froh sein, wenn sie sich am Abend noch im Amt befänden und nicht schon in Ketten, entehrt und ihren Uniformen für immer entsagt, unterwegs in ein Verlies des speziellen Polizeipurgatoriums (wo auch immer sich dies befinden möge).
    Die vollends überforderten Gendarmen flattern aufgeregt durch die Amtsstube, verschiedenfarbige Papiere und Durchschläge wehen umher, jener Konstabler, der Engelhardt am Strand zuerst das Bein gestellt, salutiert gar dem Advokaten untertänigst, als sei der seine Majestät der Kaiser persönlich. Sie beeilen sich, Engelhardt sofort freizugeben, fast tragen ihn dann die Bürgerrechtler auf Händen aus der Memeler Wache, Vivat! rufend, Freiheit! und Nieder mit der Gewalt!
    Eine Ansammlung Bürger findet sich auf dem Marktplatz zusammen, fünfzig, sechzig sind es wohl, deren Zahl um einiges größer aussieht, als sie in Wirklichkeit ist, und während der Bericht von der Mißhandlung des Einsiedlers von Ohr zu Ohr weitergegeben und mit jedem neuen Erzählen minimal verändert wird, so daß schlußendlich die Nachricht geht, ein auf der Durchreise befindlicher katholischer Pfarrer aus Avignon sei in örtlicher Polizeigewalt gefoltert worden und daß der inzwischen herbeigeeilte Bürgermeister bereits tatsächlich in Tilsit um Ablösung und Ersatz für die inzwischen untragbar gewordene Memeler Gendarmerie ersucht habe.
    Engelhardt ist in ein Erster-Klasse-Abteil der Preußischen Staatsbahn manövriert worden, dort hat man ihn auf kühlende Laken gebettet, zwei Daunenkissen unter den Kopf geschoben und, nachdem er mit angewiderter Geste die frische Kuhmilch verweigert, die ihm der mitreisende Arzt fürsorglich gereicht, ihm einen Schoppen naturtrüben Apfelsaft zu trinken gegeben, während eine einnehmende und auf ihre Art durchaus auch anmutige, friesische Bürgerrechtlerin (im sich über ihren gewaltigen Busen wölbenden, gestärkten Kittel) ihm den erschlafften Handrücken tätschelt. Sie riecht, so dünkt es Engelhardt, leicht säuerlich, vielleicht ist es aber auch nur das verschmähte, ruckelnde Glas Milch, drüben in der Ecke des Abteils, in dessen konvexer Opazität sich gar nichts spiegelt. Ich glaube nicht, daß er jemals einen Menschen wirklich geliebt hat.
    Berlin ächzt unter einem nun schon Wochen andauernden Hochdruckgebiet, das sich, vom Türkischen Reich kommend, durch Zentraleuropa hochschiebend dergestalt knebelnd über die Stadt gelegt hat, daß eine gegen das Hitzediktat meuternde Bevölkerung Eiswagen kapert, man nasse Handtücher auf dem Kopf trägt und Löschfahrzeuge zum Zoologischen Garten abkommandiert werden, um dort die vor Hitze und Durst heulenden Tiere mit Schläuchen zu beduschen. Als Engelhardts Danziger Zug jedoch im Schlesischen Bahnhof einfährt, ist es, als stecke man eine Nadel in einen Luftballon; binnen Minuten platzt die Hitzeblase, türmende Wolken ziehen herauf, stapeln sich über der Stadt, augenblicklich gießt und schüttet es in ungeahnten, schier unmöglichen Fluten. Wasser ströme purzeln in Kaskaden herab, der Regen ist stellenweise so undurchdringlich, daß er wie eine aquatische, feste Wand die Häuserfronten an den Straßenecken miteinander vereint, ein Regenschirm aus leichtem Musselin nutzt da herzlich wenig, man hüllt sich in schwarz gummierte Regencapes (deren für die Lackierung benötigtes Kautschuk samt und sonders aus den bestialischen Sklavenpflanzungen Belgisch-Kongos importiert wird) und schreitet, schräg stolzierenden Krähen gleich, gegen den prasselnden Regen, der bald von seitwärts weht, bald von oben schüttet, bald von hinten anschiebt. Die Stadt ist eine einzige Baustelle, mannstiefe Löcher verhindern das geordnete Vorwärtskommen, nun laufen diese auch noch mit Brackwasser voll. Sibirische Händler bieten ihren durchnäßten Tand auf dem Alexanderplatz an, dort gibt es auch eine äußerst preiswerte, meist aus Abfällen und schimmligem Mehl bestehende Bratwurst, die im Regen sofort zerfällt. Die Elektrische schiebt sich ächzend und funkenschlagend an anständigen Bürgern vorbei, die, aufs Trittbrett springend, den

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