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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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miteinander zu verweben. Engelhardt, dessen Schüchternheit, die ihn in unserer Welt so lebensuntauglich erscheinen ließ, im Kreise dieser Wilden aber wie von einer frischen, launigen Brise weggepustet schien, beteiligte sich eifrig am gemeinsamen Flechtwerk. Ab und zu lief er hinab zum Ufer und schöpfte sich beidhändig kühlendes Meerwasser auf die brennenden Schultern. Dann liefen kleine Kinder mit, die nackend und kreischend und feixend sich vor ihm in die Fluten warfen, und Engelhardt lachte mit ihnen.
    In der ersten Nacht lag er auf dem Sandboden, den er sich selbst in seine Hütte, auf den morastigen, immer noch leicht feuchten Lehmboden hineingeschaufelt hatte, und befand nach einigen unangenehmen Körperdrehungen und -wälzungen, daß er fortan lieber erhöht auf einem Bettgestell oder einer Bastpritsche schlafen wolle. Der Sand war zwar weich, rieselte ihm aber, machte er es sich in der fötalen Seitenlage bequem, ins Ohr hinein. Lag er hingegen auf dem Rücken, so war ihm, als werde sein Hinterkopf und das darunter befindliche lange Haar aufs Ärgerlichste vom Sand gekratzt (das Haargummi hatte sich durch Feuchtigkeit und Hitze in zerbröckelnde Bestandteile aufgelöst). Und kaum hatte er sich beruhigt, nun könne eben heute nacht nichts mehr geschehen, was ihm den Schlaf erträglicher mache, und morgen früh werde man schon sehen, wie ein Bett zu zimmern sei - über diese ihm buddhistisch erscheinende, eigene Indifferenz dem Unbehagen gegenüber war er fast zufrieden lächelnd eingeschlummert -, wurde er Hunderter Moskitos gewahr, die es sich auserkoren hatten, seine Haut mit Dutzenden, äußerst schmerzhaften Stichen zu malträtieren. Hilflos und kümmerlich schlug er im Dunklen eine ganze Weile nach ihnen und zündete dann eine Kokosfasermatte an, deren starke Rauchentwicklung zwar erfolgreich die Mücken aus seiner Hütte vertrieb, ihn aber so ungezügelt husten ließ und ihm gleichzeitig erstickende Tränen in die brennenden Augen trieb, daß er sein Gesicht in einer Sandkuhle vergrub und wütend die Stunden abwartete, bis endlich das erste Sonnenlicht durch die Löcher in den fransigen Bastwänden drang.
    Am nächsten Spätnachmittag entsann er sich der aus Herbertshöhe mitgebrachten Moskitonetze, packte eines aus der Kartonage, entfaltete es und hängte es mit großer Umsicht an die Wände und Decke seiner Basthütte. Einen kleinen Riß, der dabei entstand, flickte er mit zwei, drei geschickten Vernähungen. Dann legte er sich probeweise darunter und lächelte über seine Unbeugsamkeit, ein anderer hätte wohl überlegt, wieder abzureisen. Er fürchtete sich in höchstem Maße vor dem Fieber und hoffte inständig, er sei gestern nacht nicht von einem infizierten Insekt gestochen worden, andererseits sei dies eben der Preis, den man hier zu zahlen habe. Im Fränkischen gebe es wenige Krankheiten, deren Verlauf so entsetzliche Auswirkungen zeitigte, dafür müsse man aber dort unter einer Durchseuchung des Geistes leiden, einer inneren, unheilbaren Morschheit, deren zersetzende Kraft sich wie ein Krebsgeschwür durch die Seele zu fressen vermochte.
    Nun kommt man nicht umhin zu sagen, daß die Bewohner von Kabakon gar nichts von dem Umstand wußten, daß die kleine Insel, auf der sie seit Menschengedenken lebten, auf einmal nicht mehr ihnen gehörte, sondern dem jungen waitman, den sie auf Geheiß des Agenten Botkin freundlich aufgenommen, ihm eine Hütte gebaut und ihm Früchte gebracht hatten. Und anfangs war es beileibe nicht Engelhardts Absicht, sich zu gebärden wie ein besonders gestrenger Inselkönig, doch als er eines Spätnachmittags von einem Erkundungsgang rund um die beiden bewaldeten Hügel zurück zu seiner Hütte spazierte, erwartete ihn folgende Szenerie: Dort, auf einer Lichtung, hatte ein Bub ein pechschwarzes Ferkel eingefangen, das am Schwanz herbeigezerrt wurde. Ein junger Mann trat hinzu, hob seine schwere Holzkeule und ließ sie krachend auf den Kopf des Borstentieres niedersausen, das sofort mit einem erbärmlichen Quieken tot zusammenbrach. Nun fielen drei, vier schwarze Frauen über das Schwein her, öffneten mit einer scharfen Scherbe dessen Leib, warfen die Eingeweide zur Seite und kratzten das Innere kundig aus.
    Engelhardt, der sich einerseits als Herr über das Eiland und somit auch über das Tun und Lassen seiner Einwohner wähnte, andererseits aber auch die Sitten der Eingeborenen dulden wollte, trat beherzt dazwischen, entwand der Frau, die das Schnittwerkzeug

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