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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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den weiß-blauen Himmel stechend schnellt der Zeigefinger, hinab auf den Holztisch hämmert Engelhardts schmales Fäustchen. Obwohl das blendende Sfumato seiner Ideenwelt mit großem demagogischen Können aufgetragen wird, bleibt, so scheint es, wenig hängen beim braven Bauernpaar, zu wild winden sich die Serpentinen der Engelhardtschen Phantasie.
    Später dann, des Nachts, im Heuschober, in dem es nach dem Staub des langen Sommers duftet, liegen Nagel und Engelhardt nebeneinander, im Flüsterton diskutierend, Pläne schmiedend und wieder verwerfend, und Nagel merkt, wie sehr er den Nürnberger schätzt und um wieviel radikaler als seine eigenen doch dessen Gedanken in die Welt hineindrängen. Eine Katze mault droben in der Dunkelheit des Gebälks. Nagel überlegt ernsthaft, seinem Freund in die Kolonien nachzufolgen, dafür spräche, daß der jahrelang ertragene Spott, der täglich über ihm ausgegossen wird, ihm langsam das Gemüt zu zerdrücken droht, er zu zweifeln begonnen hat an der Richtigkeit seines Handelns und Engelhardt ihm mitsamt seiner Besessenheit wie ein Führer erscheint, der kraft seines Leuchtens ihn, Nagel, aus der düsteren Wüstenei Deutschlands in ein lichtes, sittliches, reines Land zu leiten verstünde, nicht nur metaphorisch, sondern in realitas - aber andererseits, und Nagels Anima erblickt schon die Pforten des Schlummerlandes, ist er auch schlicht und einfach zu faul, sich einmal rund um den Erdenball zu begeben, um am anderen Ende der Welt ein neues Deutschland zu erschaffen. Nein, er wird, sinniert er, kurz bevor das Schattenreich ihn empfängt, fortan seinen Namen klein schreiben, überhaupt auf Groß- und Kleinschreibung verzichten, alles immer klein schreiben, so: gustaf nagel. Das soll seine Revolution sein, dann kommt der Schlaf.
    August Engelhardt wird nun weit im Norden wiedergesehen, Berlin war ts reisend, er hat sich von Gustaf Nagel in inniger Verbundenheit am Münchner Hauptbahnhof getrennt, beide haben jeweils die Unterarme des Gegenübers ergriffen. Nagel rät ihm noch, die Reise nach Preußen doch aus ideologischen Gründen per pedes zu unternehmen, doch Engelhardt erwidert, er müsse Zeit sparen, da er in der Südsee noch so viel vorhabe, und sollte sein Freund es sich doch noch anders überlegen, er ihm immer und aufs Allerherzlichste willkommen sei.
    Engelhardt, der nun das Kaiserreich mit Schnellzügen durchmißt, überlegt es sich kurz vor Berlin ebenfalls anders, umfährt links jenen gigantischen, monströsen Ameisenhügel und besteigt eine Bahn nach Danzig, auf Holzbänken schlafend, geduldig Verbindungen abwartend, abermals umsteigend, immer wieder, erreicht dann Königsberg, Tilsit, fährt nun wieder nordwestlich, Richtung Kleinlitauen.
    Dort, vom Zug im ostpreußischen Memel ausgespuckt, Stab und Beutel geschultert, spaziert er, das trübe backsteinerne Städtchen verlassend, durch vom Nordwind durchpustete Birkenhaine, kauft Johannisbeeren und Pilze von einem sich bekreuzenden russischen Mütterlein, das ihn in seinem Büßergewand für einen der Orthodoxie abtrünnigen Molokanen hält, nimmt die schlanke, milchig-weiße Holzkirche, die drüben den Anfang des Haffs markiert, in Augenschein, marschiert südlicherweise auf die Nehrung, weiter wandernd sich fragend, ob vielleicht hier des Deutschen Seele herstamme, hier, von jenem unendlich melancholischen, einhundert Kilometer langen, sonnenbeschienenen Dünenstrand, an dem er sich, etwas scheu zuerst, dann zunehmend selbstsicher auszieht, sein Gewand und seine Sandalen in eine Sandmulde legt (es ist nun früher Abend) und, sich und seine Nacktheit vor einem in einiger Entfernung schlendernden, in feines weißes Tuch gekleideten Sommerfrischlerpaar verbergend (er Redakteur des Simplicissimus, leicht ironischer Zug am Munde unterm Schnauzbart, gestikulierend, sie freigeistige, ihm nickend zustimmende Mathematikerstochter in selbstentworfenem Kleide), nun bis lange nach Verschwinden des Paares und dem Herabsinken der Dunkelheit hinaus aufs baltische Meer starrt, den Plan, für immer und alle Zeiten in die Deutschen Überseegebiete im Stillen Ozean zu reisen, langsam in sich reifen lassend wie ein Kindlein, das aus farbigen Holzklötzchen ein immenses Schloß zu bauen sich angeschickt hat. Niemals zurückzukehren, nimmermehr. Eine traurige litauische Melodie verweht noch über der Nehrung, unnahbar wie die am Firmament blaß blinkenden Sterne und doch unermeßlich vertraut, lieblich und heimelig: Wuchsen einst fünf

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