Imperium
führte, die spitze Scherbe und warf diese in hohem Bogen in den Busch. Dabei rutschte er auf einem Stück Darm aus und fiel bäuchlings in die sandige Blutlache. Dies war, nebenbei bemerkt, seine Rettung, denn anstatt den schmächtigen waitman das gleiche Schicksal wie das Schwein ereilen zu lassen (der Bursche mit der Keule war bereits einen Schritt vorgetreten), begannen alle auf der Lichtung aus vollstem Halse über Engelhardts Kapriole zu lachen. Dieser stand auf, über und über mit Blut besudelt, sich den dunkelroten Sand aus den Augen reibend, und der Eingeborene mit der Keule ließ diese sinken, nahm lachend Engelhardts Hand in die seine, klopfte dem Deutschen kameradschaftlich auf die Schulter, und fortan war klar, daß die Tierschlachtungen auf der anderen Seite der kleinen Insel vorgenommen würden. Engelhardt sei, so erzählten sich die Eingeborenen untereinander, ein größerer waitman als man gedacht habe, Mut habe er bewiesen dazwischenzugehen, auch wenn sie nicht recht verstanden, warum er nicht wolle, daß man Schweine töte und ausnahm. Engelhardt - so war man sich untereinander nun einig - besitze den Zauber mana, und er dürfe auf Kabakon bleiben, solange er es für richtig hielt.
Am nächsten Morgen standen an die vierzig Männer vor Engelhardts Hütte und gaben ihm in einem Kauderwelsch aus Kuanua, Unserdeutsch und Pidgin zu verstehen, daß sie gedachten, für den Deutschen zu arbeiten. Man wolle bei ihm in Lohn und Brot stehen und die Kokosnüsse von den Bäumen sammeln und verarbeiten. Engelhardt stellte sich auf ein Stück Treibholz und trug in einer pantomimischen Ansprache vor, daß er um Himmels willen kein Missionar sei, sich auf ihren Fleiß freue, daß er pünktlich bezahlen werde, daß die Kokosnuß und die Palme heilig seien und daß er gedenke, sich nur von ihr zu ernähren. Deshalb dulde er in seiner Nähe kein Fleisch und verlange auch von seinen Arbeitern (hier hielt er kurz inne - ging er vielleicht zu weit?), zumindest während der Arbeit auf seiner Plantage kein Schweinefleisch und keine Hühner zu essen. Die Männer nickten verständnisvoll, zumal der Genuß dieser Tiere den alljährlich stattfindenden Festen vorbehalten war und man tagsüber ohnehin nur Yamswurzel kaute, allenfalls einige Kokosnüsse trank wie Engelhardt selbst. Ob etwa Eier erlaubt seien, wollte einer der Männer wissen, und ein anderer fragte nach, wie es mit dem Rauchen stehe. Und dürfe man denn vielleicht Schnaps trinken? Engelhardt gab bereitwillig Antwort, und es schien ihm, als verstünden seine neuen Arbeiter die ganze Sache als amüsantes Spiel. Vom Baumstamm herunterspringend sagte er, es sei jetzt genug der Fragen, und seine Insulaner schienen augenblicklich die Autorität zu akzeptieren, mit der er ihnen das ab jetzt für sie geltende Kabakonsche Regularium nahebrachte.
Mit einem Schlag schien Engelhardt seine Furcht besiegt zu haben, die Furcht vor dem Ungewissen, seine Angst davor, nicht genug Geld oder Nahrung zu haben, davor, was seine Mitmenschen von ihm dachten, die Angst, er würde lächerlich scheinen, Angst vor der Einsamkeit, Angst davor, ungeliebt zu sein oder das Falsche zu tun - all dies war von ihm abgefallen wie die Kleidung, die er nicht mehr trug oder nicht mehr zu tragen vermochte, da die Hosen und Hemden (selbst den Wickelrock nahm er nun auf seinen Strandspaziergängen ab, zögerlich zuerst, dann mit immer größerer Selbstverständlichkeit) ihm als Symbole einer überholten, lange müde gewordenen Außenwelt erschienen. Er lebte in einer makellosen splendid isolation. Keiner nahm von seiner Nacktheit auch nur die geringste Notiz. Seit dem Zwischenfall mit dem Ferkel respektierte man ihn, entbot ihm einen freundlichen Morgengruß, wenn man ihn im Wald traf, und behandelte ihn wie einen der Ihren. Er trug tatsächlich den Zauber mana in seiner jungen Brust.
Gemeinsam mit dem jungen Makeli streifte er nackt über die Insel, nur einen Sack über der Schulter, und der Eingeborenenjunge zeigte Engelhardt die Stellen, die für ihn tabu waren, meist Bestattungsorte der Ahnen oder bestimmte Lichtungen. Sie rüttelten an den borstigen Palmenstämmen, bis genug Früchte herabgefallen waren. Man brauchte sich nur zu bücken, um die Kostbarkeiten aufzulesen! Makeli zeigte ihm, wie man sich mittels eines Kokostaues, das um den Leib geschlungen wurde, den Stamm bis in die Krone hinaufhebeln konnte, um dort, ein Messer in den geschickten Händen, an all die köstlichen Nüsse zu kommen,
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