Imperium
Snobs, aber da sich ihre Kultur über Sprache definierte, über lafrancophonie, und nicht, wie in Deutschland, über mythisch rauschende Blutszugehörigkeit, erschienen sie heterogener als die Deutschen, bei denen es keine Zwischentöne gab, keine Nuancen, wenig Schattierungen.
Engelhardt tat ihnen gar nicht erst den Gefallen, in den Salons zu speisen, statt dessen wartete er, bis es dunkel wurde, und verzehrte dann ein paar Kokosnüsse aus seinem Sack. Anschließend legte er sich der Länge nach in eine Ecke des Achterdecks, sah hinaus auf die weite, vom Mondschein bespiegelte, schwarzgrüne See und gab sich dann, nach ein paar Stunden monotonen Starrens, seinen Träumen hin, die ihm in letzter Zeit immer bedrohlicher und gespenstischer erschienen waren.
So hörte er die Gesänge der Passagiere nicht, die noch bis tief in die Nacht, ja fast bis zum Morgengrauen champagnerschwere Chansons über dem Stillen Ozean verwehen ließen; auf der festlich beleuchteten Gerard de Nerval wurde noch zügelloser getrunken als einst auf der Prinz Waldemar. Durch Engelhardts Organismus aber rauschte nur der milchig-klare Honigseim, der zu Flüssigkeit gepreßte Opal cocos nuciferas.
Und hatte er schon vor langem entschieden, sich nicht mehr durch Alkohol beseelen zu lassen, so war doch der Erregungszustand, in den er durch die Kokosmilch versetzt wurde, derartig, daß er selbst im Schlaf wahrzunehmen schien, sein Blut werde sukzessiv durch Kokosmilch ersetzt, ja es war ihm, als ströme durch seine Adern kein roter, tierischer Lebenssaft mehr, sondern der wesentlich hochentwickeltere pflanzliche Most seiner Idealfrucht, der ihn dereinst befähigen werde, seine Evolutionsstufe zu transzendieren. Es ist nicht mit Sicherheit zu sagen, ob seine Diät oder aber seine zunehmende Einsamkeit als Ursache für die sich langsam anbahnende Seelenstörung anzusehen war, zumindest aber potenzierte der ausschließliche Verzehr von Kokosnüssen eine bei ihm schon immer vorhandene Irritabilität, eine Unruhe angesichts bestimmter, vermeintlich unveränderbarer, ihn vexierender äußerer Umstände.
Während Engelhardt also auf dem Franzosenschiff ostwärts fuhr, hatte man in Herbertshöhe nach kurzer Diskussion entschieden, die Hauptstadt von Deutsch Neu Guinea abzubauen und keine zwanzig Kilometer weiter die Küste hinauf neu zu errichten, immer noch in der Blanchebucht, in nächster Nähe des Vulkans, an einem Ort namens Rabaul. Die Hafeneinfahrt drohte über kurz oder lang zu versanden, es gab da wohl eine unterseeische Strömung, die jeden Tag tonnenweise Schlick in die Bucht spülte. Jedenfalls existierte Herbertshöhe von einem Tag auf den anderen nicht mehr. Man ordnete an, daß sämtliche Häuser, die fein säuberlich auseinandergebaut, zu Bretterstapeln und Nagelkisten geschichtet und mit den exakten Bauplänen zu ihrer Wiedererrichtung versehen worden waren, durch den Urwald getragen werden sollten. Ein ameisenhaftes, von Hahls Stellvertreter gewissenhaft orchestriertes Prozedere spielte sich zwischen alter und neuer Hauptstadt ab, ein emsiges Kommen und Gehen, in dessen Verlauf zwei eingeborene Träger von Bäumen erschlagen und ein Unglücklicher von einer Todesotter in den nackten Fuß gebissen wurde, weil er ein antikes Möbelstück, das er durch den Dschungel nach Rabaul tragen sollte, nicht hatte fallen lassen wollen. Die deutschen Damen fuhren mit dem einzigen Automobil. Man baute alles mit großer Sorgfalt und in Windeseile wieder so auf wie in Herbertshöhe, die beiden Hotels, die Gouverneursresidenz, die Faktoreien, die Landungsstege; selbst eine prächtige neue hölzerne Kirche, die (bis auf ein fälschlicherweise mit dem Gesicht zur Wand gehängtes Portrait Kaiser Wilhelms des Zweiten) exakt so ausschaute wie die eben abgebaute, wurde errichtet und flugs vom örtlichen Pastor geweiht. Sogar Emmas Villa Gunantambu wurde nach Rabaul versetzt, und manch einer konnte sich anfangs nicht daran gewöhnen, nun links hinunter zur Chinatown zu gehen anstatt rechts, und man vermißte Bäume, die vormals an bestimmten Stellen gestanden hatten, ja, es war über alle Maßen desorientierend.
Um ein Haar wäre Engelhardt unterwegs Christian Slütter begegnet, mit dem er einmal im Hotel Fürst Bismarck, im Herbertshöhischen, Schach gespielt hatte. Nachdem die Gerard de Nerval in Port Vila angelegt und Engelhardt auf ein britisches Postschiff Richtung Fidschi-Inseln umgestiegen war, hatte dieser sich, obgleich es wirklich nicht seinem
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