Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
Vom Netzwerk:
Charakter entsprach (oder aber vielleicht gerade deshalb), vor einer Spelunke mit einem amerikanischen Baptisten geschlagen, der seinerseits einen Eingeborenen, der ihm im Wege gestanden war, rüde beiseite getreten hatte. Der Christ war ein schlangenäugiger Zwei-Meter-Mann in dunklem, stark befleckten Gewand gewesen, mit Händen wie Dampfhämmern: es erreichte Slütter eine Ohrfeige links, eine rechts, benommen segelte er zu Boden, es war nicht der Rede wert, sondern eine Prügelei, wie sie in jeder Hafenstadt vorkommt, nur zog der Prediger in rasender Wut ein Stilett aus seinem Stiefel, um es dem am Boden liegenden, stöhnenden Deutschen in den Bauch zu rammen. Doch da erwischte den Yankee die seitwärts heransausende Eisenstange hinterm rechten Ohr, die der hinzugetretene Eingeborene, den Slütter hatte verteidigen wollen, vom Boden aufgelesen und mit aller Kraft im Kreis geschwungen hatte. Slütter entkam dem Tumult, indem er sich hinter ein Gebäude robbte und abwartete, bis die herbeigeeilten örtlichen Gendarmen wieder abgezogen waren, den eingeborenen Delinquenten fest gepackt. Derweil hatte Slütter den unumstößlichen Schuldbeweis, jenes mit dem blutigen Haarbatzen des Predigers verklebte, tödliche Eisen, mit sich in sein Versteck geschleift, sich daraufgelegt und war anschließend erschöpft eingeschlafen, wo wir ihn nun liegen lassen wollen, bis er wieder auftaucht.
    Das Städtchen Suva auf Fidschi ähnelte auf den ersten Blick Herbertshöhe (vielmehr seinem neuen Ebenbild Rabaul), war aber von Gaunern, Säufern, Piraten, Methodisten, Strandläufern und anderem unsauberen Charakterwerk bevölkert, die von allen im Pazifischen Ozean befindlichen Inseln die kleine britische Kolonie Fidschi dazu auserkoren hatten, dort ihr Unwesen zu treiben, Gott allein weiß, warum.
    Auf einem namenlosen Nachbareiland hatte sich indes der Lichtesser und Pranaist Erich Mittenzwey aus Berlin-Dahlem angesiedelt, man hatte monatelang Pilger und Jünger empfangen, und als Engelhardt dort anlandete, war es ihm, als schaue er in einen verrückten Zerrspiegel seiner eigenen zukünftigen Kokovoren-Kolonie. Er wurde willkommen geheißen, und in der irrigen Annahme, es handele sich bei ihm ebenfalls um einen Adepten Mittenzweys, wurde ihm ein Schlafplatz in einer der zu Dutzenden an der kleinen Bucht errichteten Basthütten zugewiesen. Alles wirkte strengstens organisiert und nach deutschem Schema hergerichtet, Engelhardt sah mit Erstaunen, wie ein junger Mann versonnen den Strand fegte.
    Der nicht sonderlich magere Mittenzwey selbst zeigte sich ab der Mittagsstunde, wobei er auf einem thronartigen Bambusgebilde am Strand Platz nahm, sich bis auf ein schnupftuchgroßes Lätzchen, das seine Scham bedeckte, nackt entkleidete und unter diversen Verrenkungen, die Engelhardt als frei improvisierte yogische Übungen deutete, damit begann, wie ein Karpfen schnappend den Mund aufzureißen, um so Sonnenlicht in seinen Organismus aufzunehmen. Die kleine Schar der Pilger, die ihm zu Füßen saß, staunte, und man warf sich zu Boden, es Mittenzwey gleichtuend, versuchend, die Sonnenstrahlen zu trinken. Engelhardt, der eine bodenlose Wut in sich aufsteigen fühlte, setzte sich nach der kurzen Darbietung (Mittenzwey war wieder in seiner Hütte verschwunden) zu einem jungen Inder in den Sand und fragte ihn, was genau denn hier geschehe.
    Ja, seit über einem halben Jahr habe der Fakir Mittenzwey nur die Essenz des Lichts zu sich genommen, weder Wasser noch Nahrung, das sei im Mittelalter in Europa gang und gäbe gewesen, nur habe Mittenzwey hier auf den Fidschi-Inseln, die zu großen Teilen von den Abkömmlingen der aus Nordindien eingewanderten Lohnarbeiter bevölkert seien, die Disziplin mit indischer Philosophie verfeinert. Es gehe im Prinzip darum, das Prana, also jenen Stoff, der uns umgäbe, durch bestimmte Atemtechniken in uns zu speichern, quasi die Materie des Äthers in Nährstoffe zu verwandeln. Es erfordere natürlich ein Höchstmaß an Konzentration und Willenskraft, nicht jeder vermöge dies einfach so zu erreichen, man müsse sich durch gewisse, jahrelang erlernte Meditationszustände selbst dergestalt in Trance versetzen, daß der auf den Lichtstrahlen reitende Weltgeist beginne, den Körper zu durchdringen. Ja, und um ihm zu huldigen, bringe man dem Meister Geldgeschenke, Uhren und Schmuck, den er offen in seiner Hütte verwahre, um sich stets die Vergänglichkeit der Welt und ihres eitlen Tandes vor Augen zu

Weitere Kostenlose Bücher