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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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die der fürchterliche Richard Wagner mit seinen Schriften und seiner schwülstig-komischen Musik wenn nicht initiiert, dann aber allerorten salonfähig gemacht hatte. Unser Freund liebte die Musik von Satie und Debussy und Mendelssohn-Bartholdy und Meyerbeer.
    Auslöser seines Streits mit dem Nudisten Richard Ungewitter, dessen dubioses Traktat Aueckens zu ihm geführt hatte, war, so erinnerte sich Engelhardt nun, gar kein Mißverständnis gewesen, sondern ebenfalls jene, vom Haß durchtränkten, mit jedem Brief ärger werdenden Anschuldigungen gegenüber den Juden. Es war doch wohl strikt abzulehnen, über Menschen aufgrund ihrer Rasse zu urteilen. Punkt, ja. Da gab es gar keine Diskussion. Eigentlich müßte ein Piano her. Die Gedanken kreisten wie ein Kinderkarussell. Nur wie verhindern, daß Sand in die Mechanik des Klaviers gelangte? Makeli hatte er schon lange nicht mehr gesehen, hoffentlich war ihm nichts zugestoßen. Ein Nachtvogel schrie. Ein Dämon blies in ein elfenbeinernes Horn. Die skythischen Könige hielten sich geblendete Sklaven, die sie zur Milchverarbeitung einsetzten. Dort, im Lande Gog und Magog, darob ewige Finsternis herrschte. Und endlich, als der Morgen schon dämmerte, löste sich der Alpdruck, und Engelhardt entschlummerte sanft unter dem die Phantasmagorien speichernden Schleier seines Moskitonetzes.
    Dann dräut der Tag, sonnig, heiß. Wir sehen beide Männer nackend am Strand gehen. Engelhardt bemerkt, wie ihn Aueckens, wir bitten um Verzeihung, beäugt. Dieser macht keine Anstalten, seinen Blick von Engelhardts Scham zu wenden. Läuft Engelhardt eine Weile voran, spürt er Aueckens’ Blick auf seinem Hinterteil ruhen. Er fühlt sich beobachtet, penetriert, reduziert auf sein Geschlecht. Engelhardt trägt fortan bei gemeinsamen Spaziergängen wieder Lendentuch, Aueckens geht nackt, die Konversation verläuft stockend, nichts ist mehr mit Tennyson.
    Wir sehen den jungen Makeli, der über die Insel streift, mit dem Gedanken, einen prachtvollen grünen Vogel einzufangen, um ihn Engelhardt zu schenken, denn sein Herr, sinniert der brave Makeli, scheint trotz des Besuches aus Deutschland immer so einsam. Er sucht den Himmel und die Palmenwipfel nach dem ersehnten Vogel ab, da packt ihn, von rechts aus dem Unterholz tretend, völlig unerwartet, der überaus kräftige, sommersprossige Helgoländer, schmiert sich mit Daumen und Zeigefinger aus einer zu diesem Zweck mitgeführten Flasche Kabakon-Kokosöl einen Klecks Lubrikant auf die Spitze seines erigierten Gliedes und vergewaltigt den wie ein verletztes Tier schreienden Jungen in einem Palmenhain. Vögel schrecken hoch, kreisen, kommen nicht mehr zur Ruhe.
    Wir sehen Aueckens erst tot wieder, bäuchlings und nackt am Boden liegend, mit zerschmettertem Schädel, etwas Gehirnmasse ist ausgetreten. Fliegen laben sich an der nicht eintrocknen wollenden, noch glänzenden Wunde an seinem Hinterkopf - es scheint, als pulsiere sie noch, als sei das bißchen Leben noch nicht verlöscht und an jener Stelle noch vorhanden. Makeli ist nicht zu sehen, Engelhardt nur ein Schatten. Des Abends kommt Regen und wäscht das Blut fort.
    Ob Engelhardt dem Antisemiten selbst eine Kokosnuß auf den Kopf schlug oder ob Aueckens, im selben Palmenhain wandelnd, in dem er den jungen Makeli geschändet, zufällig von einer herabfallenden Frucht erschlagen wurde oder ob die Hand des Eingeborenenjungen aus Notwehr einen Stein erhoben hat, verschwindet im Nebel der erzählerischen Unsicherheit. Sicher ist nur die Tatsache, daß der Helgoländer durch den Aufprall eines harten, runden Gegenstandes aus dieser Welt nach Ultima Thule gelangte, vom sonnenbeschienenen Palmenstrand hinüber in das kalte, finstere Eisreich. Und da Aueckens, der sich keine sechs Wochen im Schutzgebiet aufgehalten hatte, rasch und zeremonienlos drüben auf dem Deutschen Friedhof in Herbertshöhe beigesetzt und weder vermißt noch betrauert wurde, legte sich schon bald das Vergessen über den Umstand, daß unser Freund eventuell einen Mord begangen haben könnte. Solcherlei Todesfälle geschahen eben in den Kolonien, im Zivilregister Neupommerns findet sich ein kärglicher Eintrag, eine kriminalpolizeiliche Untersuchung blieb aus, da der Stellvertreter des Gouverneurs entschied, eine vom Baum herabsausende Kokosnuß habe Aueckens getroffen, folglich sei es ein Unfall gewesen, und so entsandte er noch nicht einmal einen Repräsentanten nach Kabakon, um die Sache zu untersuchen.
    Wäre jemand aus der

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