Imperium
nackend und schnaubend in die Fluten. Komischerweise ergriff Aueckens dabei Engelhardts Hand; nur widerwillig ließ dieser das zu, da er es als despektierlich und falsch empfand. Eigentlich hatte Aueckens erwartet, er dürfe als Gast des Ordens in Engelhardts Häuschen schlafen, doch war für ihn erst einmal nur die etwas abgelegene Palmwedelhütte vorgesehen, die unserem Freund als erste Schlafstätte auf Kabakon gedient hatte. Dies hatte Engelhardt so entschieden, nachdem er bei einem Gespräch während einer morgendlichen Strandwanderung von Aueckens zu hören bekam, zur Freiheit des Geistes gehöre für ihn auch die Freiheit der Geschlechtlichkeit. Wie er dies denn meine, fragte Engelhardt. Nun, hatte der junge Besucher geantwortet, frei heraus, er sei der Männerliebe zugetan, einmal habe er es mit einer Helgoländer Magd versucht, aber schnell gemerkt, daß er nur den männlichen Körper verehren könne. Schon der Vegetarier Plutarch habe die Männerliebe als Ausdruck höchster Zivilisation verstanden; durch die Geschichte hindurch seien stets Oden auf Knaben gedichtet worden, deren philisterhafte Umdeutung nur durch eine jahrtausendealte Prüderie zu erklären sei, und gerade die Durchbrechung dieses Umstandes habe sich Aueckens zum Ziele gemacht. Die Homosexualität sei der eigentliche, der wahrhaftige Zustand des Mannes, die Liebe zur Frau hingegen ein absurdes Erratum der Natur.
Aueckens habe im August letzten Jahres, nach einer ausgedehnten Wanderung durchs Helgoländer Oberland, bei der die Seemöwen unbeweglich wie weiße Steine über dem Kliff bei Hoyshörn im Wind hingen, bei einer Rast in einem Teehaus einen jungen Mann fixiert, dessen abstehende Ohren, dunkle, kimmerische Augen und sonderbare Blaßheit so gar nicht dorthin passen wollten. Es war, als sei jener erschreckend dürre Abiturient, der dort mit seinem Onkel an einem Tische saß und an einem Stück Kluntjes nagte, der größtmöglich vorzustellende Fremdkörper im Gefüge der Insel. Dieser Fremdling habe ihn rasend vor Lust gemacht, berichtete der Helgoländer seinem Mentor Engelhardt, der seinerseits verständnisvoll nickte, dabei aber mit einiger Mühe versuchte, seine Abneigung gegenüber so offen vorgetragener Homosexualität vor Aueckens zu verbergen.
Der junge Mann sei dann jedenfalls, nachdem ihm Aueckens durch Blicke und subtile Kopfbewegungen zu verstehen gegeben hatte, er möge sich kurz bei seinem Onkel entschuldigen und ihm nach draußen folgen, in die Sommerluft spaziert. In Wirklichkeit war damals folgendes geschehen: Der Abiturient hatte ein paar Schritte getan, und schon hatten Aueckens’ kräftige Hände die schmalen Schultern des jungen Städters gegen die Außenwand des Teehauses gedrückt und er hatte versucht, ihm seine Zunge in das Ohr zu stecken, derweil sich seine Hand, tastend (wie ein spinnenartiges, haariges Insekt, empfand es der Betastete) vorne an dessen Hose begeben hatte. Entsetzt und mit einem kleinen Aufschrei der Empörung hatte ihn der Junge weggestoßen, und in diesem Augenblick war Aueckens aufgefallen, daß das Ziel seiner amourösen Annäherungen einen starken Geruch ausgeströmt hatte. Nachdem er zurück zu seinem Onkel in die Gaststube geflüchtet war, hatte er, Aueckens, auch gewußt warum: es sei nämlich ein Jude gewesen, ein behaarter, bleicher, ungewaschener, levantinischer Sendbote des Undeutschen (der so bezeichnete Abiturient indes, selbst Vegetarier, schrieb später, am selben Tage noch, eine Karte an seine Schwester nach Prag: sein Husten habe sich am Meere gebessert, der Onkel zeige ihm Sehenswertes, nun schiffe man sich bald nach Norderney ein, karg sei es hier, aber eindrücklich, die Einwohner der Felseninsel hingegen grob und geistig retardiert).
Engelhardt, der dabei mit den Zehen im Sand gescharrt, hatte die Geschichte mit zunehmender Konsternation gehört. Als Aueckens dann mit den Worten schloß, schuld an der Tatsache seiner Zurückweisung sei der Umstand, daß sein Opfer Jude gewesen sei, hatte Engelhardt versucht, etwas Schorf von seinem Schienbein zu pulen und heimlich in den Mund zu schieben (eine beginnende Infektion? Hatte er sich gar irgendwo geschnitten?) und dann begonnen, ausgiebig zu gähnen, morgen könne man sich weiter unterhalten.
Später im Bett dachte er darüber nach. Die Sichel des Mondes hing käsefarben über dem Ozean. Was für ein schrecklicher Unsympath dieser Aueckens war. Engelhardt teilte nicht jene aufkommende Mode der Verteufelung des Semitischen,
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