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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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führen.
    Engelhardt hatte genug gehört, so ein Humbug war ihm lange nicht untergekommen. Er erhob sich, lief den Strand hinauf zur Mittenzweyschen Behausung, schob, ohne zu klopfen oder sich sonstwie anzukündigen, den Bastvorhang beiseite und betrat das Allerheiligtum des Dahlemer Fakirs. Mittenzwey und ein dunkelhäutiger, älterer Inder saßen an einem Tischchen und schreckten hoch wie ertappte Kinder, die verschiedenen Schalen mit Reis, Früchten und Hühnerschlegeln entsetzt in die Ecke fegend, dann sanken die beiden in sich zusammen. Mittenzwey legte resigniert die Stirn in die Hände, der Inder stand auf und wischte sich den Mund ab, und in diesem Moment erkannte Engelhardt, daß es Govindarajan war, der dort vor ihm stand, der betrügerische Tamile, der ihn einst, vor Jahren, auf der Insel Ceylon in eine dunkle Höhle gelockt und anschließend seines Geldes beraubt hatte.
    Im kurzen Augenblick des gegenseitigen Erkennens fiel Mittenzwey auf die Knie, der Deutsche möge sie um Himmels willen nicht verraten, es sähe schlimmer aus, als es in Wirklichkeit sei, man habe zweifellos betrügerische Absichten an den Tag gelegt, aber es wäre ja niemand gezwungen worden, ihnen ihre Wertsachen zu schenken, dies habe einfach eines Morgens begonnen, dann hätten die zureisenden Adepten immer mehr Präsente gebracht, und ein Zurückgeben wäre schlicht und einfach unmöglich geworden. Während man ihm zwei Handvoll Schmuck und wertvolle Uhren aus einer eiligst herangezogenen, geöffneten Truhe anbot, fragte Govindarajan, was denn Engelhardt dort für merkwürdige Flecken an den Beinen habe.
    Govindarajans abscheuliche, süffisante Visage und die so schamlos offerierten Präziosen tunlichst ignorierend, wollte Engelhardt von Mittenzwey wissen, ob das Einatmen des Prana wirklich nur Scharlatanerie wäre oder ob es tatsächlich möglich sei, nichts als Licht zu sich zu nehmen (die ringsherum am Boden verstreuten Speisen suggerierten doch wohl eher das Gegenteil). Der Berliner Fakir, der im Grunde kein garstiger Mensch war, entgegnete kleinlaut, er habe das Fasten ungefähr vierundzwanzig Stunden lang versucht und sei dann sehr rasch an die Grenzen seines Körpers gelangt. Am schlimmsten sei freilich der Durst gewesen, aber er habe dann mit Sicherheit gewußt, daß sich kein Mensch monatelang von der Gabe der Sonne ernähren könne.
    Ach Unfug, nichts anderes übe Engelhardt aus, er speise sich aus der Sonnenfrucht, und dies schon seit Jahren, erwiderte dieser mit Genugtuung, und ihren Talmi könnten die beiden behalten, er werde nichts verraten, es sei allerdings ein trauriger Anblick, den der Tamile und Mittenzwey ihm böten, aber er wisse jetzt, daß ihn zukünftig lediglich die Reine Lehre umgeben müsse, und er werde sich nun anschicken, ebenfalls Adepten zu gewinnen, denen er auf Augenhöhe begegnen werde, er, der darunter leide, daß niemand ihn besuchen komme auf seiner eigenen Insel, er, der gerne einen Freund, einen Mitutopisten gehabt hätte, aber wenn er sähe, was für einen Pappkameraden Mittenzwey dort zur Seite habe, dann sei das Alleinsein dieser byzantinischen Verstohlenheit, diesem hier auf Fidschi errichteten, erbärmlichen Lügenhaus allemal vorzuziehen. Pfui, sagte er, und adieu, und dann trat er hinaus, ohne den jämmerlichen Strolch Govindarajan auch nur mit dem Anflug eines Blickes zu beehren. Es wäre nicht angegangen, von ihm seine Barschaft zurückzufordern, da er ja beschlossen hatte, kein Geld mehr anzufassen, gleichwohl er es zweifelsohne gut hätte gebrauchen können, um seinen im Schutzgebiet aufgehäuften Schuldenberg etwas abzutragen.
    Govindarajan, der das Geld natürlich schon vor Jahren ausgegeben hatte, kicherte wie eine bösartige Ziege, denn er hatte die Flecken an Engelhardts Beinen wohl erkannt. Da war eine abfällige Handbewegung, dann raunte er Mittenzwey zu, um diesen dort brauche man sich keine Gedanken mehr zu machen, er sei ohnehin auf dem Weg in die Unterwelt, ihre Glückssträhne hingegen sei noch lange nicht vorbei, und er schickte sich an, die Hütte wieder aufzuräumen, die Hühnerknochen und den Reis in die Feuerstelle zu werfen und alles mit Asche und Sand zu bedecken, immer noch in sich hineingrienend.
    Den Daumen nun öfter im Mund, als ihm selbst recht war, fuhr Engelhardt zurück, diesmal als blinder Passagier auf einem deutschen Kreuzer der Kaiserlichen Marine, der SMS Cormoran, die im Hafen von Suva Kohle und Frischwasser geladen hatte. Er hatte sich in einem der

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