Imperium
mit Persenning überzogenen Rettungsboote verborgen und ein paar Kokosnüsse gegen den Hunger und den Durst mit hineingenommen. Sein Wasser schlug er ab, indem er den Harn in eine leere Nußschale gab und diese bei Nacht, durch die seeseitig leicht gelüpfte Persenning, weit hinaus in die Dunkelheit des Ozeans schleuderte. Gewiß, allzuviel wäre ihm bei seiner Entdeckung nicht passiert, schließlich war es ein deutsches Schiff, aber es kam in jenen Zeiten vor, daß die Bootsbesatzungen anderer Nationen nicht besonders zimperlich mit blinden Passagieren umgingen - sowohl Franzosen, Russen als auch Japaner warfen die Unglücklichen kurzerhand über Bord, als befände man sich mitten im krudesten achtzehnten Jahrhundert und nicht in unserem geregelten zwanzigsten. Engelhardt mußte an die Armen denken, die auf der Meeresoberfläche treibend das jeweilige Schiff hatten davonfahren sehen, ihren eigenen Tod durch Durst oder Entkräftung vor Augen, ohne auch nur die leiseste Hoffnung, um sich herum Abertausende Kilometer der rücksichtslosen See, und ihm schauderte, und er schob den Daumen fester in den Mund.
Nach zwei Wochen vollkommen ereignisloser, sonnenbeschienener Fahrt ankerte die Cormoran in der Blanchebucht, und Engelhardt verließ das sichere Versteck, zufrieden über das Gelingen seiner Gratisexkursion. Im allgemeinen Gewusel der Ankunft des Kriegsschiffes mischte er sich auf dem Anlegesteg unter die Menge und bekam es plötzlich mächtig mit der Angst zu tun, als er nämlich bemerkte, daß er sich gar nicht im ihm vertrauten Herbertshöhe befand, sondern die Häuser, Palmen und Alleen auf höchst irritierende Weise verschoben zu sein schienen. Er verlor so sehr die Orientierung, daß er das Gefühl hatte, er würde ohnmächtig und eine gigantische Kraft sauge ihn dabei in ein enges Loch, in dem er anschließend zu Atomen demontiert würde.
Drängelnd schob er sich an den weißbekleideten Schaulustigen vorbei, die Gesichtszüge entglitten ihm, da war doch die Kirche, meine Güte, nur stand sie verkehrt herum, er riß mit beiden Händen an seinem Bart, dort drüben lag das Kaiserliche Postamt, aber gegenüber fehlte die Forsaythsche Faktorei, die sich vor wenigen Wochen noch dort befunden hatte, während sie nun, da er wie planlos durch Rabaul stolperte, nächst dem Hotel Fürst Bismarck stand.
Flehend näherte er sich diesem oder jenem Passanten, man möge ihm doch bitte sagen, was hier geschehen sei, aber man wich ihm aus, zu bizarr war der Anblick des offensichtlich derangierten, nur mit einem Wickeltuch bekleideten Langhaarigen. Hoteldirektor Hellwig, der, sich mit einem Offizier der Cormoran unterhaltend, Richtung Gouverneursresidenz schlenderte, erschrak beim Anblick des stark abgemagerten Besitzers der Kabakon-Plantage, der wie ein Schreckgespenst mitten auf der Allee mit den Armen ruderte. Er ließ den Offizier stehen und versuchte Engelhardt zu erklären, daß die Stadt verlegt worden war - Jesus, Maria, habe etwa niemand ihm das mitgeteilt -, doch dieser konnte nur immerfort auf das fehlende Ohr des Hotelbesitzers starren, als würde dort, an jenem knorpeligen Atavismus abzulesen sein, wohin seine Bodenhaftung allmählich entschwunden war. Kein einziges deutsches Wort brachte er heraus, sondern unter weiterem Gestammel und schließlich in Zungen redend ließ er den ihm eigentlich wohlwollend gesinnten Hellwig stehen und ging zum Strand hinunter, um sein Segelkanu zu suchen, das ihn zurück auf seine eigene, ihn wieder gesundmachende Insel bringen würde.
IX
Inmitten des vierten oder fünften Jahres kam, wie vor langer Zeit erhofft, ein verstimmtes Klavier nach Kabakon. Es landete freilich nicht alleine, sondern in fürsorglicher Begleitung eines Mannes, der sich durch drei kurz nacheinander eintreffende, exaltiert und gesalbt formulierte Briefe angekündigt hatte: Max Lützow, Geigen- und Klaviervirtuose aus Berlin, Leiter des nach ihm benannten Lützow-Orchesters und blondhäuptiger Frauenheld (letzteres stand freilich nicht in den Briefen). Lützow war ausgebrannt, will sagen, erledigt; er war zivilisationsmüde und führte eine erschreckende Ansammlung halbimaginierter Krankheiten mit sich, derer er sich freimütig bedient hatte, um die Malaise seines deutschen Alltags mit dem Tuche der Hypochondrie zu verhüllen. Er litt abwechselnd, je nach Wetterlage und Tagesform, unter Asthma, Rheumatismus, Keuchhusten, Migräne, Ennui, Schüttelfrost, Anämie, Schwindsucht, Ohrensausen,
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