Imperium
Palmen wehen zerzaust und verwahrlost im leisen Wind des Nachmittags. Ein Paradiesvogel trabt zurück ins Unterholz, als er die beiden kommen sieht. Makeli zeigt Slütter die Orte, an denen früher die Kokosnüsse geerntet wurden, nun kümmere sich freilich niemand mehr darum, es sei ein Jammer, was geschehe, aber so sei eben die Einstellung, ja die unverrückbare Geisteshaltung seines Volkes. Man lasse einfach alles stehen und liegen, es gäbe keine Verantwortung, sie seien wie Kinder, die eines Spielzeugs überdrüssig geworden. Slütter wundert sich über den jungen Makeli, der so sehr zum Deutschen geworden ist, daß er seine Rasse ähnlich beurteilt, wie es ein Kolonialbeamter täte. Und hier, die Kokosnüsse, davon habe sich Engelhardt die ganze Zeit ernährt? Von nichts anderem? Und der junge Mann?
Makeli lächelt verschämt. Der bärtige Weiße in seiner Uniform mit der Pistole ist ganz offensichtlich kein schlechter Mensch, kein Untier, wie jener Hobbes den Menschen im allgemeinen im Leviathan dargestellt habe, aber er ist immer noch ein Eindringling, und wie jeder Eindringling eine Gefahr. Den Musikanten hat er, Makeli, vertrieben, aber es hat ein Jahr gedauert, so lange kann er bei diesem hier nicht warten.
Slütter geht zu einer Palme hin, berührt gedankenverloren mit der Hand ihren Stamm und blickt hinaus aufs Meer. Er sieht, wie sich Engelhardt aus einiger Entfernung nähert. Slütter und Makeli sollten mitkommen, er, Engelhardt, habe ihnen im Dschungel etwas Interessantes zu zeigen, sagt er und winkt in Richtung Urwald, zu einer Schneise. Sie gehen zusammen hinein, Engelhardt summt dabei eine muntere Melodie und tänzelt vor ihnen - dabei schlackern seine von der Unterernährung zu Fladen gewordenen Gesäßbacken hin und her -, bis sie eine Stelle erreichen, die ihm vertraut zu sein scheint; er weicht links vom Trampelpfad ab und bedeutet Slütter, er solle ruhig vorgehen. Makeli läßt ihn voran und beginnt unkontrolliert zu glucksen.
Ahnend, daß er sich in höchster Lebensgefahr befindet, zieht Slütter seinen Revolver und erklärt, er sei geschickt worden, Engelhardt zu töten, man sei seiner, nun, man könne sagen: überdrüssig geworden in der Hauptstadt. Er habe aber keinerlei Absichten es zu tun. Slütter hebt den Revolver und schießt ein paarmal in die Luft. Ein ohrenbetäubendes Arpeggio aus aufflatternden Vögeln, sich beschwerenden Makaken und zischenden Echsen erfüllt den Urwald. Engelhardt und Makeli stehen wie erfroren.
In diesem Augenblick sieht Engelhardt die Dämmerung herabrasen, obgleich es noch taghell ist; er sieht die verglimmenden Spuren der Sterne, er steht auf einem bewaldeten Hügel nächst einer seit zahllosen Äonen verlassenen Stadt, am Horizont erhebt sich orangerot und fahl der Doppelmond, jenes traute Zwiegestirn der Harmonia Caelestis; er wähnt sich in Arkadien und weiß plötzlich, sein Mysterium ist niemals Kabakon gewesen, sondern der bis ins Unendliche sich ausdehnende, revolvierende Teppich seiner Traumwelt, seine Sicherheit ist das Würgen angesichts seiner eigenen Geburt. Hochentwickelte Gattungen auf anderen Planeten, weiß er nun, verhalten sich stets raubtierhaft.
Engelhardt umarmt seinen verhinderten Mörder, küßt und liebkost ihm die Hände, immer und immer wieder versichernd, wie dankbar er ihm sei, es habe sich nun bei ihm im Kopfe etwas wieder eingerenkt, dieses barmherzige Opfer sei Ausdruck des Weltengeschicks, ja, seine Dankbarkeit sei eine unerschöpfliche und unmessbare Fibonacci-Sequenz. Seinen Swedenborg habe er weggeworfen, in der Tat. Durchgestrichen und weggeworfen. Alles müsse fort. Bergson sei der einzige, den man eventuell noch lesen könne, wiewohl auch dieser, durch den Umstand seines Judentums, sich selbst disqualifiziert habe. Und die feige Order, ihn zu ermorden? Hahl habe es doch wohl befohlen, Hahl sei ebenfalls Jude, nichts anderes habe er von diesem Volke erwartet, mit aller Wahrscheinlichkeit habe ihn Hahl doch wohl erpreßt, Slütter solle es ruhig sagen, es läge keine Schande darin, dieser schäbige Gouverneur-Philosoph sei ein ausgefuchster Gauner, dem jedes Mittel recht sei, seine niederträchtigen Ziele erreicht zu wissen.
Ja, so war Engelhardt unversehens zum Antisemiten geworden; wie die meisten seiner Zeitgenossen, wie alle Mitglieder seiner Rasse war er früher oder später dazu gekommen, in der Existenz der Juden eine probate Ursache für jegliches erlittene Unbill zu sehen. Hiermit hatte die nervliche
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