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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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oder Strömung, jetzt wie eiserne Walfische unerbittlich einander annähern, zermalmt. Nicht nur Beine oder Arme werden zerquetscht, sondern der ganze Lützow.
    Von der Prinz Waldemar wird noch, nach entsetztem Rufen, ein rotgestreifter Rettungsring hinabgeworfen, der aber nicht einmal die Wasseroberfläche erreicht, sondern nutzlos eingeklemmt zwischen beiden Schiffen steckenbleibt, wie ein Kaubonbon zwischen Zunge und Gaumen eines desinteressierten Riesen.
    Emma, die im vergilbten Hochzeitskleid auf der Jeddah verharrend, das Geschehen nicht nur verfolgt, sondern quasi verlangsamt, Bild für fallendes Bild in die Retina projiziert bekommt, sinkt im Choc hinab auf ein Knie, als müsse sie unversehens beten. Es ist alles so fürchterlich schnell passiert. Sie hebt ein besticktes leinenes Tüchlein dort an die Unterlippe, wo sie sich gebissen, zwei Tränen springen ihr links und rechts aus den Augen, der Batist erhält einen kreisrunden roten Fleck. Slütter greift sanft ihren Arm, richtet sie auf. Sie steht, wehrt seine stützenden Hände ab, kein Schreien, keine weiteren Tränen. Apiranas Antlitz ist ein bemalter Felsen.
     
    XIII
     
    Es scheint Slütter, der zur Erfüllung seines mörderischen Auftrags nach Kabakon hinüberfährt, als erwarte ihn Engelhardt bereits, als wisse dieser vom nahenden Henker, als sende er ein vibrierendes, pochendes Feld voraus. Slütter hat für sich entschieden, er werde sich mit einer epochalen Unerbittlichkeit wappnen, nicht im geringsten ahnend, wie weit sich Engelhardt inzwischen von der Menschengemeinschaft entfernt hat und wie leicht es ihm andererseits fallen wird, den Abzug seines Revolvers zu betätigen.
    Engelhardt hat sich, nachdem er die Arbeit an den Fallgruben beendet hat, in sein Haus begeben und, nachdem er Innen- und Außenwände sowie die Seiten vielleicht eines guten Dutzends seiner Bücher mittels Kohlestücken über und über mit schwarzen Streifen bemalt hat, sich anschließend auf den Boden gesetzt und mit der Schere den Daumen seiner rechten Hand abgeschnitten. Die Versehrte Hand an einem Feuer kauterisierend, hat er den Daumen in eine mit Salz gefüllte Kokosschale gelegt und ist hinaus und hinunter an den Strand gegangen, um die Ankunft der Dampfbarkasse abzuwarten, deren Rauch schon eine ganze Weile drüben am Horizont auszumachen gewesen ist. Es ist Ebbe, bald wird es wohl regnen, vielleicht aber auch nicht.
    Slütter ist, kaum von der Barkasse gesprungen, schnurstracks strandwärts durch die beinahe hüfthohe See gewatet, die an seinem Rücken anbrandenden kleinen Wellen beflissentlich ignorierend, obwohl deren Wucht ihn ein, zweimal straucheln läßt. Er hat sich den Revolver in einem Futteral um die Brust geschlungen und sich zu einem Automatismus des Geistes gezwungen, der ihm verbietet, den dort im Sand sitzenden, bärtigen, nackten, verhungert aussehenden Engelhardt als Menschen wahrzunehmen.
    Dieser erhebt die linke Hand zum Gruße (die andere, Versehrte, hinter seinem Rücken verbergend), in Slütter plötzlich den Mann erkennend, mit dem er vor Jahren einen Nachmittag lang Schach gespielt (bis zum Solus Rex), den einzigen Menschen, der ihm damals mit so etwas wie respektvoller Normalität begegnet ist. Andere Gesichter steigen nun jäh vor ihm auf, Hahl, Nagel, Govindarajan, Hellwig, Lützow, Mittenzwey, Halsey, Otto, Aueckens, ein jeder von ihnen erpicht darauf, ihn zu erniedrigen, ja, ihn zu zerstören mit ihrem krankhaften, vom Egoismus zersetzten Wesen, und Engelhardt läßt sich nach vorne fallen, in den Sand, und er betet den Besucher an, als sei er, Engelhardt, ein Mohammedaner, der sich pietätvoll Richtung Mekka verneigt.
    Er ist so froh und dankbar, daß jener einzige ehrbare Mann ihn jetzt aufsucht, ja, es ist, als habe sein magisches Durchstreichen der Bücher von Swedenborg just dieses Wunder bewirkt. Er gräbt mit den neun Fingern seiner Hände im nassen Sand vor ihm, ungeachtet des infernalisch kribbelnden Daumenstumpfs; Slütter, ja, so hat er geheißen, Kapitän Slütter, absurd, daß ihm die Vorsehung ausgerechnet jenen sende, er hoffe inständig, Slütter habe inzwischen sein Kapitänspatent erhalten, daß alles sozusagen im Lot sei, wie der Seemann sagt, bevor er zur Salzsäule erstarrt, Haha, vielleicht befehlige er gar ein eigenes Schiff, er freue sich über die Maßen, leider könne er ihm nichts anbieten, er habe sich ja nun seit, ja, seit wieviel Jahren eigentlich, ausschließlich, ganz ausschließlich von Kokosnüssen

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