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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian Kracht
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sich hinter den Studiertisch, vergräbt das Gouverneursgesicht in den männlichen, sonnenbraunen Pranken und weint mit einer Zügellosigkeit, die ihn selbst am allermeisten überrascht.
    Unten am Quai dann, euphorisiert, bitten die beiden Kapitän Slütter, sie an Bord der Jeddah zu trauen. Dieser räuspert sich, schabt sich am Kinn, tritt von einem Bein auf das andere, hustet und willigt dann doch schließendlich ein, obwohl er, dies müßten sie bitte zur Kenntnis nehmen, keinerlei Erfahrung auf dem Gebiet der Eheschließungen habe. Der Maori Apirana schlüpft in eines von Slütters nicht mehr ganz frischen weißen Hemden und zieht, amüsant anzusehen, fälschlicherweise am Klüverbaum die Reichsfahne hoch, dann schüttelt er grinsend eine Flasche Champagner (November ist, wie immer, im Kohlenraum verschwunden, Pandora irgendwo an Land), Emma kaut auf einer Karamelle und sieht zehn, ach was, fünfzehn Jahre jünger aus.
    Lützow selbst, kerngesund, eine Spur zu selbstsicher, sprüht vor elektrischer Energie, ihm hat, so bemerkt er, ganz klar und offensichtlich das Mondäne gefehlt, das Zivilisationsritual, die Kristallgläser, die weißen Hosen mit der Bügelfalte, kein Gedanke mehr an Kabakon, genug davon, es war ein Experiment, ja, ein Geglücktes, er kann es fast ein Jahr aushalten in der Askese, seine diversen Krankheiten sind geheilt, nun aber zurück nach Europa, in die alte Welt, dessen komplexe Befindlichkeiten ja durchaus dienlich sind, sich selbst innerhalb einer Struktur zu verorten, in die man hineingeboren wurde - was nützt einem der Ausbruch, wenn man nicht zurückkehrt, um das Erlernte, das Erlebte anzuwenden?
    Reich mir die Hand, Vielliebchen. Fort, nur fort. Nach Baden-Baden, Montecatini Terme, Evian-les-Bains - Königin der Inseln, wir werden Franz Liszt besuchen, Debussy in der Sommerfrische Frankreichs, dann Berlin, Budapest und die golden erstrahlenden Opernhäuser unseres ururalten Kontinents. Wir werden ein Automobil kaufen, mit rauschhafter, geschmeidiger Geschwindigkeit Monacowärts brausen, ein gebräuntes, unbesiegbares Löwenpaar, tausend, ach was, zehntausend Mark auf rot setzen, den Gewinn liegen lassen, daß er sich verdoppele und abermals verdoppele, dann Hummer Thermidor, geeister Pouilly-Fuisse, danach ein endloser, schwindelerregender Erdbeerreigen, ein taumelnder Elfentanz unter mediterranem Halbmond.
    Emma haucht ihr Ja, Lützow selbstverständlich auch, Kapitän Slütter spricht einige Sätze, die er sich halb ausgedacht, halb zusammengereimt hat, schon sind sie Mann und Frau, ein Champagnerkorken fliegt mit lautem Knall himmelwärts. Apirana, dessen mit konzentrischen Kreisen tätowiertes Gesicht von perlendem Schaumwein köstlich benetzt wird, schenkt die bereitstehenden Gläser voll (sich selbst am vollsten), leert seines in einem Zuge und, durch die blitzschnell in der maorischen Großhirnrinde einsetzende Wirkung des Weines aus der reservierten Eleganz seines Volkes gelockt, er, der er nie getrunken hat, umarmt Lützow, Emma, Slütter aufs Innigste.
    Am Vormittag ist in Rabaul auch die Prinz Waldemar eingelaufen, sie ankert nun schneeweiß, stattlich und etwas pikiert direkt neben der ausgesprochen unansehnlich zu nennenden Jeddah, deren äußerliche Erscheinung sich nach dem durchfahrenen Sturm in der Salomonensee nicht unbedingt verbessert hat. Man schaut natürlich trotzdem herüber, auf den Kapitän und das Brautpaar, grüßt, winkt, und Lützow saust seinerseits im Übermut und voll Vorfreude auf den eleganten Erster-Klasse-Salon der Waldemar (denn er hat ja wirklich genug von Sandflöhen und nacktem Diskutieren) in Richtung Reling der Jeddah, steigt hinauf, um von dort mit einem Satz, äußerst leichtsinnig, zwei gefüllte Champagnergläser wie ein Oberkellner balancierend, hinüber auf das Reichspostschiff zu springen, dabei nach hinten, Jeddahwärts schauend, brennende Zigarette im Mundwinkel, irgendein Bonmot ausrufend.
    Die Sohle seines Schuhs (den zu tragen seine Füße nicht mehr gewöhnt sind) gleitet auf der rutschigen Außenwand der Waldemar ab, er versucht greifend die Reling zu erreichen, verfehlt sie, und nun werden ihm beide Beine, als hingen sie an je zwei am Himmel befestigten Bindfäden, nach oben gezogen, er vollführt einen Salto (der tatsächlich das Suffix mortale verdient), saust dann Kopf nach unten in das Hafenbecken, fällt zwischen beide Schiffe ins Wasser und wird von ihnen, deren Bäuche sich, dank einer unglücklich verlaufenden Welle

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