Imperium
an Engelhardts Tod beteiligt habe.
Slütter erscheint dies in seiner Menschenverachtung mehr als bodenlos, aber er läßt sich nichts anmerken - noch könnte er Pandora in Sicherheit bringen, noch könnte er sie bei sich behalten, wenn er nur die Ruhe bewahrte. Aber das Mädchen hat sich schon lange entschieden. Zu geradeheraus, zu verläßlich ist ihr dieser bärtige, alternde Seemann, als kleingeistig empfindet sie seinen Zorn über die exquisite Tätowierung auf ihrem Rücken, seine Träume (wenn er denn überhaupt welche hatte) sind nicht die ihren, er ist ihr fad geworden wie dem Kinde das fallengelassene Spielzeug, ja, er hat seinen Zweck erfüllt, was sie ihm auch ins Gesicht schreit, auf dem Anlegesteg stehend, immer noch barfuß.
Slütter nimmt Abschied von Pandora, und es zerreißt ihm die Seele. In der Ferne ragt der Kegel des purpurnen Vulkans in den Himmel, und Eidechsen verbergen sich ängstlich an seinen steinigen Hängen. Makeli und Pandora, Kinder der Südsee, verlassen gemeinsam Rabaul auf einem Segelboot, ins Ungewisse. Der Wind bläst sie nach Hawaii, vielleicht, oder zu den mit Vanillesträuchern umflorten Marquesas, von denen es heißt, man könne ihr Parfüm riechen, weit bevor man sie am Horizont sehe, oder gar bis nach Pitcairn, jenem vulkanischen Felsen im leeren, wortlosen Süden des Stillen Ozeans.
Engelhardt wird ebenfalls zum Kind, zum Rex Solus. Vegetabil und einfach, ohne sich an etwas erinnern zu können, ohne Voraussicht, lebt er allein im Präsens, ab und zu Besuch erhaltend, redet er wirr, die Menschen fahren wieder ab und lachen über ihn, schließlich wird er zur Attraktion für Südseereisende, man besucht ihn, wie man ein wildes Tier im Zoo besucht.
XIV
Erst läuft also der Student Gavrilo Princip, nachdem er in Moritz Schillers Cafe hastig ein Schinkenbrot hinuntergeschlungen hat, hinaus auf die Straße jener kleinen, beschaulichen Stadt auf dem Balkan und schießt aus nächster Nähe, Stücke des Sandwichs noch im Mund, Brotkrümel noch am spärlichen Moustacheflaum, mit dem blanken Revolver mittenmang auf den verhaßten Despoten und seine Ehefrau Sophie. Dann kommt, gelinde gesagt, eines zum anderen. Das dem Mord folgende Flammenmeer rast mit universeller Gnadenlosigkeit über Europa; klapprige Flugzeuge schwirren, papiernen Libellen gleich, über flandrische Schützengräben; wer Soldat ist und eine Maske besitzt, der reißt sie sich mit zitternden Händen vors Gesicht, sobald der Ruf Chlorgas! erschallt; einer der Millionen an der Westfront explodierenden, glühenden Granatsplitter bohrt sich wie ein weißer Wurm in die Wade des jungen Gefreiten der 6. Königlich Bayerischen Reserve-Division, lediglich ein paar Zoll höher, zur Hauptschlagader hin, und es wäre wohl gar nicht dazu gekommen, daß nur wenige Jahrzehnte später meine Großeltern auf der Hamburger Moorweide schnellen Schrittes weitergehen, so, als hätten sie überhaupt nicht gesehen, wie dort mit Koffern beladene Männer, Frauen und Kinder am Dammtorbahnhof in Züge verfrachtet und ostwärts verschickt werden, hinaus an die Ränder des Imperiums, als seien sie jetzt schon Schatten, jetzt schon aschener Rauch.
Doch Geduld. Nicht wie ein fernes Unwetter, dessen Ausläufer sich unausweichlich und bedrohlich nähern - so daß man sich aber noch in Sicherheit bringen kann , sondern rasch und erbarmungslos und nicht ohne eine gewisse Komik kommt der Erste Weltkrieg auch in den Bismarckarchipel. Die Rabauler Funkstation, die über die Großfunkstelle Nauen Kontakt zum Deutschen Reich aufrechthält, wird von einem Vorauskommando australischer Haudegen zusammengeschossen und mittels mehrerer hineingeworfener Handgranaten gesprengt. Der Postbeamte, der einstmals die Etiketten zu Engelhardts Kokosöl-Flaschen entworfen hatte, ist zur falschen Zeit uniformtragend am falschen Ort, ein eiserner Postschrank poltert auf ihn herab, im Fallen trifft ihn die Kugel eines Soldaten in die Stirn.
Wenige Tage später beginnt ein australisches Schlachtschiff in der Blanchebucht zu kreuzen, und ein Unterseeboot taucht auf, es herrscht allgemeine Verwirrung und große Unordnung, man flüchtet sich in die Gouverneursresidenz und verbarrikadiert die Fenster, indem man Chintzsofas und Matratzen von innen dagegen lehnt. Blonde Damen, die eben noch in Zeitschriften geblättert und sich über die vermeintliche Renitenz der malayischen Angestellten beschwert haben, sinken ohnmächtig hin und müssen verarztet werden. Der
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