Imperium
politische Korrespondenz zu vernachlässigen, sodass ich mit nach Arpinum fuhr. Trotzdem war es das erste und, soweit ich mich erinnern kann, auch das einzige Mal in all unseren gemeinsamen Jahren, dass Cicero auf einer Reise keine offiziellen Geschäfte erledigte. Er saß, das Kinn auf die Hand gestützt, auf seinem Platz und tat nichts, als auf die vorüberziehende Landschaft zu starren. Er und Terentia führen in einer Kutsche, Quintus und Pomponia in einer anderen. Die beiden stritten pausenlos, sodass Cicero - wie ich einmal zufällig mitbekam - seinen Bruder beiseite nahm und ihn anflehte, er solle doch, und sei es nur um Atticus ' willen, endlich seine Ehe in Ordnung bringen. »Wenn dir Atticus ' Meinung so wichtig ist«, erwiderte Quintus mit einigem Recht, »dann heirate du sie doch.« Die erste Nacht verbrachten wir auf Ciceros Landsitz in Tusculum. Am nächsten Tag hatten wir auf der Via Latina gerade Ferentium erreicht, als ein Bote aus Arpinum den Brüdern die Nachricht überbrachte, dass ihr Vater gestern einen Kollaps erlitten habe und gestorben sei.
Angesichts der Tatsache, dass der Vater bereits über sechzig gewesen war und schon seit vielen Jahren gekränkelt hatte, war sein Tod ein geringerer Schock als der von Lucius (die Nachricht von dessen Tod hatte der fragilen Gesundheit des alten Mannes wohl den letzten Schlag versetzt). Trotzdem, das eine mit Pinien- und Zypressenzweigen geschmückte Trauerhaus zu verlassen, um wenige Tage später ein ebenso geschmücktes Haus zu betreten, bildete den Gipfel an Schwermut, die noch verschlimmert wurde durch den unglücklichen Zufall, dass wir in Arpinum am fünfundzwanzigsten November eintrafen, dem Tag, der Proserpina geweiht war, der Königin des Hades, die die Flüche des Menschen über die Seelen der Toten bringt.
Die Cicero-Villa lag drei Meilen außerhalb der Stadt, am Ende einer steinigen, gewundenen Straße, in einem von hohen Bergen gesäumten Tal. Es war kalt in dieser Höhenlage, die Gipfel ringsum steckten schon unter jungfräulichen Hauben aus Schnee, die sie bis in den Mai hinein tragen würden. Ich war seit zehn Jahren nicht mehr hier gewesen, und alles genau so vorzufinden, wie ich es in Erinnerung hatte, rief seltsame Gefühle in mir hervor. Anders als Cicero hatte ich das Leben auf dem Land dem in der Stadt immer vorgezogen. Ich war hier geboren, meine Mutter und mein Vater hatten hier gelebt und waren hier gestorben. Im ersten Vierteljahrhundert meines Lebens hatten diese sanft hügeligen Wiesen und kristallklaren Flüsse mit ihren hohen Pappeln und grünen Ufern die Grenzen meiner Welt markiert. Als Cicero sah, wie bewegt ich war, und weil er wusste, wie ergeben ich meinem alten Herrn gedient hatte, bot er mir an, ihn und Quintus zur Totenbahre zu begleiten, um Abschied zu nehmen. Auf gewisse Weise schuldete ich ihrem Vater genauso viel wie sie. Ich war ihm von klein auf sympathisch gewesen, er hatte mich unter seine Fittiche genommen und mir eine Ausbildung zukommen lassen, sodass ich ihm mit seinen Büchern helfen konnte. Und er hatte mir die Möglichkeit geboten, mit seinem Sohn auf Reisen gehen zu dürfen.
Als ich mich nach vorne beugte, um seine kalte Hand zu küssen, hatte ich das starke Gefühl, nach Hause zurückgekehrt zu sein, und mir kam der Gedanke, dass ich vielleicht ganz hierbleiben könnte, dass ich als Verwalter arbeiten, ein Mädchen meines Standes heiraten und Kinder haben könnte. Meine Eltern waren beide, obwohl sie Haussklaven und keine Arbeitssklaven auf dem Feld gewesen waren, schon mit Anfang vierzig gestorben. Ich musste damit rechnen, dass auch mir nur noch zehn Jahre blieben, höchstens. Die Vorstellung tat weh, dass ich diese Welt vielleicht ohne Nachkommen verlassen würde. Ich nahm mir vor, Cicero bei erstbester Gelegenheit darauf anzusprechen.
Und so kam es, dass ich ein ziemlich tiefgründiges Gespräch mit ihm führte. Am Tag nach unserer Ankunft wurde mein alter Herr in der Familiengruft beigesetzt, die Alabasterurne mit Lucius ' Asche stellte man neben ihn, und zum Abschluss wurde, um diesen Ort zu weihen, ein Schwein geopfert. Am nächsten Morgen unternahm Cicero einen Rundgang über sein frisches Erbe. Ich begleitete ihn für den Fall, dass er mir etwas diktieren wollte, denn das Anwesen, das so hoch beliehen war, dass es fast keinen Wert mehr darstellte, war völlig heruntergekommen und bedurfte dringend der Renovierung. Cicero sagte, dass ursprünglich seine Mutter den Besitz verwaltet habe,
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