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Imperium

Imperium

Titel: Imperium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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dass sein Vater ein Träumer gewesen und den Gutsverwaltern oder Lieferanten nie gewachsen gewesen sei und dass deshalb nach dem Tod seiner Mutter alles nach und nach verrottet sei. Das war, glaube ich, nach zehn Jahren in seinen Diensten das erste Mal, dass er mir gegenüber seine Mutter erwähnte. Sie hatte Helvia geheißen und war schon vor zwanzig Jahren gestorben, etwa um die Zeit, als er als junger Mann zur Ausbildung nach Rom geschickt worden war. Ich selbst konnte mich kaum noch an sie erinnern außer daran, dass sie im Ruf stand, eine äußerst harte und bösartige Frau gewesen zu sein - die Art von Herrin, die die Krüge markierte, damit niemand etwas stahl, und die einen Sklaven, den sie des Diebstahls verdächtigte, mit dem größten Vergnügen auspeitschte.
    »Nie kam ihr ein lobendes Wort über die Lippen, Tiro«, sagte er. »Weder für mich noch für meinen Bruder. Und trotzdem habe ich alles versucht, ihr zu gefallen.« Er blieb stehen und schaute wehmütig über die Felder zu dem schnell fließenden, eiskalten Fluss, der Fibrenus heißt und in dessen Mitte sich eine winzige Insel mit einem Wäldchen und einem kleinen, halb zerfallenen Pavillon befindet. »Da bin ich als Junge oft gewesen«, sagte er. »Wie viele Stunden ich da gesessen habe! Ich habe davon geträumt, ein zweiter Achilles zu werden, wenn auch im Gerichtshof, nicht auf dem Schlachtfeld. Du kennst ja deinen Homer: ›Alle übertrumpfen, besser sein als alle anderen!‹«
    Er schwieg eine Zeit lang, sodass ich die Gelegenheit nutzte und ihm von meinem Plan erzählte. Ich plapperte einfach drauflos und sagte ihm, dass ich vielleicht hierbleiben und für ihn das Gut wieder auf Vordermann bringen könnte. Währenddessen starrte er weiter hinüber auf die Insel aus seinen Kindertagen. »Ich kann dich sehr gut verstehen«, sagte er seufzend, als ich fertig war. »Ich fühle ganz genauso. Dies ist für mich und meinen Bruder die wahre Heimat. Wir stammen hier aus der Gegend, aus einer sehr alten Familie. Hier sind die Wurzeln unserer Bräuche und unseres Geschlechts, vieles hier erinnert mich an meine Vorväter. Was soll ich dir noch sagen?« Er drehte sich um und schaute mich an. Mir fiel auf, wie klar und blau seine Augen waren, trotz der vielen Tränen, die er in den letzten Tagen vergossen hatte. »Aber bedenke, was wir in dieser Woche gesehen haben - die leeren, fühllosen Hüllen derer, die wir geliebt haben -, und bedenke die schreckliche Prüfung, die der Tod einem Menschen auferlegt.« Er verstummte und schüttelte plötzlich heftig den Kopf, als wolle er einen Albtraum verscheuchen, und wandte dann seine Aufmerksamkeit wieder der Landschaft zu. »Eins ist sicher, Tiro, ich für meinen Teil habe nicht vor zu sterben, ohne auch die letzte Unze meines Talents genutzt zu haben, ohne auch noch die letzte Meile marschiert zu sein, die die Kraft meiner Beine mir ermöglicht. Die Menschen werden sich an mich erinnern, Tiro - das ist meine Bestimmung, und nicht, hier herumzusitzen und zu träumen. Und deine Bestimmung, teurer Freund, ist es, mir dabei behilflich zu sein. Wo gibt es noch einen zweiten Sekretär, der meine Worte so schnell niederschreibt, wie ich sie ausspreche? Das ist eine Gabe, die man nicht mit Schafezählen in Arpinum vergeuden darf. Also, Schluss jetzt mit dem törichten Gerede.«
    Und damit war mein pastorales Idyll zu Grabe getragen. Wir gingen zum Haus zurück, und später am Nachmittag - vielleicht war es aber auch erst am nächsten Tag: die Erinnerung spielt einem manchmal solche Streiche - hörten wir von der Straße, die in die Stadt führte, das schnell lauter werdende Geräusch von Pferdehufen. Es hatte angefangen zu regnen, daran kann ich mich noch erinnern, und wir waren alle gereizt, weil wir das Haus nicht verlassen konnten. Cicero las, Terentia nähte, Quintus machte Fechtübungen, und Pomponia hatte sich mit Kopfschmerzen auf das Sofa gelegt. (Sie behauptete hartnäckig, dass Politik »grässlich langweilig« sei, was Cicero in stumme Raserei versetzte. »Wie kann man bloß so einen Unsinn reden?«, sagte er einmal zu mir. »Politik und langweilig? Politik ist Geschichte in Aktion. Welcher andere Bereich des Lebens weckt so das Erhabenste wie das Niederträchtigste im Menschen? Oder ist so aufregend? Oder entblößt so anschaulich unsere Stärken und Schwächen? Langweilig! Genauso gut könnte man sagen, das Leben sei langweilig.«) Als das lärmende Hufgeklapper verstummte, ging ich in den Hof, und der

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