Imperium
»Es gibt viel zu besprechen, und wir haben nicht viel Zeit. Also gleich zum ersten Punkt: Ägypten. Caesar?«
Crassus setzte sich, und Caesar stand auf. Mit dem Zeigefinger strich er sich eins seiner dünnen Haare hinter das Ohr. Vorsichtig, um ja kein Geräusch zu machen, zog ich mein Notizbuch und meinen Schreibgriffel hervor. Und als Caesar mit seiner unverwechselbar scharfen Stimme zu sprechen begann, begann ich zu schreiben.
Meine Kurzschrifttechnik ist - wenn ich mir an dieser Stelle diese unbescheidene Zwischenbemerkung erlauben darf - eine ganz wunderbare Erfindung. Auch wenn ich zugeben muss, dass Xenophon schon knapp vierhundert Jahre vor mir eine primitive Spielart davon entwickelt hatte, die aber mehr ein privates Hilfssystem zur Abfassung von Texten als eine richtige Kurzschrift war. Außerdem funktionierte sein System nur auf Griechisch, während meins die gesamte lateinische Sprache mit ihrem riesigen Wortschatz und ihrer komplexen Grammatik zu viertausend Symbolen verdichtete. Und das obendrein auf eine Weise, die es jedem willigen Schüler erlaubt, meine Kurzschrift zu erlernen. Theoretisch könnte sogar eine Frau Stenografin werden.
Wer das System beherrscht, weiß, dass in der Praxis kaum etwas so verheerende Folgen hat wie eine zitterige Hand. Angst macht aus geschickten Fingern lukanische Würste, und ich hatte befürchtet, dass ich an jenem Abend vor lauter Nervosität nicht schnell genug würde schreiben können. Aber als ich erst einmal mit meinen Notizen begonnen hatte, hatte das eine merkwürdig beruhigende Wirkung auf mich. Für einen Gedanken, was ich da überhaupt schrieb, blieb mir keine Zeit. Ägypten, Kolonisten, öffentliches Land, Regierungsbeauftragte - ich hörte die Worte, ohne ihre Bedeutung auch nur ansatzweise zu verstehen; mein einziger Ehrgeiz bestand darin, sie so schnell niederzuschreiben, wie sie ausgesprochen wurden. Eigentlich war die Hitze das größte Problem: Ich kam mir in meinem kleinen Gefängnis vor wie in einem Backofen. Der Schweiß lief mir von der Stirn und juckte in den Augen; meine Handflächen waren so feucht, dass es mir schwerfiel, den glitschigen Schreibgriffel richtig zu halten. Nur ab und zu, wenn ich mich vorbeugte und ein Auge an ein Guckloch in dem Teppichgewebe presste, um mich zu vergewissern, wer da gerade sprach, wurde ich mir des gewaltigen Risikos bewusst, das ich eingegangen war. Das Gefühl äußerster Verwundbarkeit wurde noch durch die Tatsache verstärkt, dass ich oft den Eindruck hatte, einer oder mehrere aus der Runde würden genau in meine Richtung blicken. Vor allem Catilina schien die Szene auf meinem Wandteppich zu faszinieren. Der schlimmste Augenblick kam ganz zum Schluss, als Crassus die Besprechung für beendet erklärte. »Wenn wir das nächste Mal zusammenkommen«, sagte er, »wird unser aller Schicksal und das von Rom auf immer eine neue Wendung genommen haben.« Als der Beifall verklungen war, stand Catilina auf und ging direkt auf mich zu. Ich schrak zurück, drückte mich gegen die Wand und sah, wie seine Finger höchstens eine Handbreit von meinem schweißnassen Gesicht entfernt über das Gewebe des Teppichs strichen. Die vor meinen Augen hin- und herwandernde Delle besitzt noch heute die Macht, mich mitten in der Nacht schreiend aus dem Schlaf hochfahren zu lassen. Aber Catilina hatte nichts weiter im Sinn, als Crassus ein paar Komplimente über die herrliche Handwerkskunst zu machen, worauf eine kurze Unterhaltung darüber folgte, wo Crassus den Teppich gekauft und - unausweichlich bei Crassus - was er für ihn bezahlt hatte. Dann verschwanden die beiden aus meinem Blickfeld.
Ich wartete. Als ich schließlich einen Blick durch eins der Gucklöcher wagte, war niemand mehr da. Nur die unordentlich herumstehenden Stühle wiesen daraufhin, dass überhaupt eine Besprechung stattgefunden hatte. Ich musste mich sehr beherrschen, um nicht einfach den Teppich zurückzuschlagen und zur Tür zu stürzen. Aber wir hatten vereinbart, dass ich in der Nische bliebe, bis Caelius mich holte. Also kauerte ich mit dem Rücken zur Wand und mit um die hochgezogenen Knie geschlungenen Armen in meinem engen Versteck und wartete. Ich habe keine Ahnung, wie lange die Konferenz gedauert hatte, doch da die vier Notizbücher, die ich mitgebracht hatte, fast vollgeschrieben waren, muss sie viel Zeit in Anspruch genommen haben. Ich weiß auch nicht mehr, wie lange ich auf Caelius wartete. Möglich, dass ich eingeschlafen war, denn als
Weitere Kostenlose Bücher